Stommeln (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Pulheim in BM.svg  Stommeln ist seit 1975 ein Ortsteil der Stadt Pulheim (Rhein-Erft-Kreis) mit derzeit ca. 8.500 Einwohnern im Nordwesten Kölns (Kartenskizze 'Rhein-Erft-Kreis', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0  und  Kartenskizze 'Pulheim und Stadtteile', Stommeln dunkel markiert, Abb. T. Römer 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Älteste Hinweise auf die Existenz von Juden im Dorf Stommeln bei Köln stammen aus der Zeit des beginnenden 14.Jahrhunderts. Von den Pestpogromen, die zahlreiche rheinländische jüdische Gemeinden auslöschten, waren auch die Juden in Stommeln betroffen. In den folgenden etwa 350 Jahren haben hier keine jüdischen Familien gelebt. Erst seit dem Beginn des 18.Jahrhunderts ist die Anwesenheit jüdischer Händler in Stommeln und einigen umliegenden Dörfern wieder nachweisbar.

Im 19.Jahrhundert verdienten die Juden in Stommeln ihren Lebensunterhalt mehr schlecht als recht von Gelegenheitsgeschäften. Da sie keinen Grundbesitz besaßen, war ihnen eine landwirtschaftliche Tätigkeit nicht möglich. Zudem lasteten auf ihnen hohe Schulden, die bei der hiesigen Landesherrschaft getilgt werden mussten. Aus einem Bericht des Unterpräfekten des Arrondissements Köln von 1812: „... Der Metzgerberuf, der Handel mit Pferden und Vieh, der Klein- und Hausierhandel sind auf dem Lande die üblichen Berufe der Juden.” Dieser ambulante „Kramhandel“ galt in den Augen der christlichen Dorfbewohner als „Judenschacher”. Erst etwa ab 1850 stiegen Juden in der sozialen Hierarchie innerhalb der Dorfgesellschaft Stommelns auf.

Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts besaß die kleine strenggläubige Judenschaft ein erstes Bethaus in einem ehemaligen Stallgebäude; benutzt wurde es auch von den Juden aus Sinnersdorf. Etwa 50 Jahre später entschloss sich die Gemeinde, an gleicher Stelle (hinter dem Haus Hauptstraße 85) einen Synagogenneubau zu errichten, da die alte Fachwerksynagoge inzwischen einen maroden Zustand aufwies.

  Ehem. Synagogengebäude (Aufn. S., 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Der im neuromanischen Stile errichtete Ziegelbau wurde im August 1882 eingeweiht, wie die „Kölnische Zeitung” unter der Rubrik „Vermischte Nachrichten“ berichtete:

Die jüdische Gemeinde zu Stommeln feierte am 11.August die Weihe ihrer neuerbauten Synagoge. Die Ueberbringung der Thora erfolgte in feierlichem Zuge. Die Festrede hielt der Rabbiner Dr. Frank aus Köln, welcher sich zur Aufgabe gestellt hatte, folgende vier Sätze als Sterne des Lebens zu erklären: Liebe zu Gott, Liebe zu den Mitmenschen, Liebe zu Fremden und Liebe zur Wahrheit und Frieden.

Die wenigen jüdischen Kinder besuchten zusammen die lokale katholische Elementarschule; am Sabbat und an jüdischen Feiertagen waren sie vom Unterricht befreit.

Wann der jüdische Friedhof in der heutigen Nagelschmiedstraße - in unmittelbarer Nachbarschaft zur Stommeler Windmühle - angelegt worden ist, ist unbekannt; alte Grabsteine fehlen ganz - vermutlich eine Folge der Zerstörung des Friedhofs während der NS-Zeit.

Juden in Stommeln:

         --- um 1705 .........................  2 jüdische Familien,

    --- 1806 ............................ 12     “        “   ,*    * incl. Sinnersdorf

    --- 1830 ............................ 49 Juden,

    --- 1843 ............................ 66   “  ,*

    --- 1861 ............................ 78   “  ,*

    --- 1872 ............................ 66   “  ,

    --- 1895 ............................ 40   “  ,

    --- 1905 ............................ 36   “  ,

    --- 1911 ............................ 38   “  ,

    --- 1933 ............................ 10   “  .

Angaben aus: Verein für Geschichte und Heimatkunde e.V. (Hrg.), Juden in Stommeln, Teil 1, S. 65 - 67

 

Die wenigen jüdischen Familien in Stommeln waren von den übrigen Dorfbewohnern anerkannt und unterhielten mit ihnen im privaten wie beruflichen Bereich Kontakte. Zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch zehn Juden in Stommeln; mit der Übersiedlung des letzten Vorstehers der Gemeinde nach Köln 1928 hatte die jüdische Gemeinde Stommeln aufgehört zu existieren. In den Jahren zuvor waren bereits aus Stommeln stammende Juden abgewandert, vor allem aus der jüngeren Generation. In den Dörfern der Umgebung gab es zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine jüdischen Bewohner mehr. Das Synagogengrundstück wurde 1937 an Privatleute verkauft. In dem Gebäude waren bereits seit Jahren keine Gottesdienste mehr abgehalten worden waren. Eine beabsichtigte Zerstörung während der Novembertage 1938 durch angereiste SA- und HJ-Angehörige konnte - mit Hinweis auf die neue Nutzung des Gebäudes - unterbunden werden.Das Synagogengebäude in Stommeln war das einzige im Regierungsbezirk Köln, das den Novemberpogrom unbeschadet überstanden hat.

Die letzten noch in Stommeln lebenden Juden wurden 1942 deportiert; etwa 20 gebürtige bzw. länger in Stommeln ansässig gewesene Juden fielen der Shoa zum Opfer.

 

Die mehr als drei Jahrzehnte „vergessene“ Synagoge ging Ende der 1970er Jahre in das Eigentum der Stadt Pulheim über und wurde zu Beginn der 1980er Jahre restauriert; die Initiative zur Erhaltung des Gebäudes war vom lokalen Verein für Geschichte und Heimatkunde ausgegangen.

Eine Informationstafel informiert den Besucher knapp über die Geschichte dieses Gebäudes:

1882   Fertigstellung und Einweihung der Synagoge

1937   Nach Auflösung der Jüdischen Gemeinde Verkauf des Gebäudes an einen Landwirt; Nutzung als Abstellraum, deshalb in der Nacht des 9.November 1938, in der zahlreiche Synagogen unter dem Nationalsozialismus zerstört wurden, unbeschädigt

1979   Ankauf des Gebäudes durch die Gemeinde Pulheim

1981/83 Restaurierung

1983   Eröffnung des Kulturzentrums der Stadt Pulheim

Seit 1983 dient die ehemalige Stommeler Synagoge als Kulturzentrum der Stadt Pulheim. Um eine breite Öffentlichkeit auf die historische Stätte aufmerksam zu machen, wurde 1990/1991 das Kunstprojekt „Synagoge Stommeln“ initiiert: Eigens für die Synagoge entwickelte Arbeiten renommierter Gegenwartskünstler sollen für den "historischen Gehalt" des Orts sensibilisieren.

2014 stellte der „Raumkünstler“ Gregor Schneider das ehemalige Synagogengebäude als „normales“ Wohnhaus ins Bild.

  Ehem. Synagogengebäude zum Wohnhaus umgestaltet (Aufn. G. Schneider, 2014)*

*Anm.: Vom Kunstkritikerverband AICA ist Gregor Schneiders Synagogen-Projekt („eine architektonische Maske der Normalität, verstörend und brüskierend“) ausgezeichnet worden. „Die Verhüllung der Synagoge durch eine biedere Einfamilienhausfassade greife die reale Geschichte zahlreicher Synagogen der Nachkriegsgeschichte auf, die als Wohn- oder Geschäftshaus zweckentfremdetet wurden.“

 

Jüdischer Friedhof in Stommeln (Aufn. Franz-Josef Knöchel, 2012 und S., 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Auf dem jüdischen Friedhof an der Nagelschmiedstraße – auf dem Gelände stehen kaum noch 20 Grabsteine - ließ die Stadtgemeinde Pulheim 1988 einen Gedenkstein aufstellen, der den jüdischen Opfern der NS-Gewaltherrschaft gewidmet ist. 2012 wurden am Ehrenmal auf dem Friedhof zudem zwei Tafeln mit den Namen von 20 Holocaust-Opfern angebracht.

Jüngst wurden auf Initiative von Schüler/innen des Geschwister-Scholl-Gymnasiums im Stadtgebiet von Pulheim (in der Nettegasse) die ersten sechs "Stolpersteine" verlegt, die an Angehörige der jüdischen Familie Stock erinnern (2022).

für Angehörige der Fam. Stock (Aufn. aus: fdp-pulheim.de)

 

 

 

Im Pulheimer Stadtteil Sinnersdorf gab es auch eine kleine jüdische Gemeinschaft, die um 1800 größer gewesen sein soll als diejenige in Stommeln. Ein eigener Friedhof war vermutlich vor 1728 in der Flur „Am Judenkirchhof“ angelegt worden. Dieser bis 1900 belegte Begräbnisplatz fiel 1968/1969 dem Autobahnbau zum Opfer und ist nicht mehr erhalten. Die kleine Gemeinde Sinnersdorf löste sich in den 1890er Jahren völlig auf, da inzwischen alle Familien das Dorf verlassen hatten.

 

 

 

In einem Waldstück vor Fliesteden - einem Ortsteil der Stadt Bergheim (Rhein-Erft-Kreis) - befindet sich am Wänkelsberg ein kleiner jüdischer Friedhof, dessen Anlage vermutlich im 17.Jahrhundert erfolgt ist. Auf dem ca. 600 m² großen Gelände fanden Beerdigungen bis Anfang der 1920er Jahre statt. In der NS-Zeit wurde der Friedhof teilzerstört und auch in den Jahren danach kam es zur Verwüstung und Zweckentfremdung; Grabsteine wurden umgestoßen oder verschwanden (nur acht blieben erhalten). Anfang der 1930er Jahre lebten ca. fünf jüdische Familien in Fliesteden.

Auf dem ca. 550 m² großen Begräbnisgelände findet man heute noch acht Grabsteine  bzw. -relikte.

   Jüdischer Friedhof Fliesteden, (1) Denkmal-Nr.43, Bergheim.jpgJüdischer Friedhof Fliesteden, (3) Denkmal-Nr.43, Bergheim.jpg

Begräbnisgelände in Fliesteden  -  ungewöhnliches Grabdenkmal (Aufn. Horst Schmitz, 2011, aus: commons.wikimedia.org, CC BY 3.0)

 

 

Weitere Informationen:

Klaus H.S. Schulte, Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein seit dem 17.Jahrhundert. in: "Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein ...", Band 12, Verlag L.Schwann, Düsseldorf 1972, S. 197 - 199

Peter Schreiner, Bemühungen um die Restaurierung und die künftige Nutzung der Stommeler Synagoge, in: "Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde", 2/1978

Manfred Backhausen, Fragmente jüdischer Gebetbücher aus der Stommeler Synagoge, in: "Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde", 3/1979

Peter Schreiner, Zum Erwerb der ehemaligen Stommelner Synagoge durch die Gemeinde Pulheim, in: "Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde", 3/1979, S. 100 - 113

Verein für Geschichte und Heimatkunde e.V. (Hrg.), Juden in Stommeln, Geschichte einer jüdischen Gemeinde im Kölner Umland, Teil 1 + 2, in: "Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde", Pulheim 1983/1987

Manfred Backhausen/Eli Josef Schneider, Die Friedhöfe der jüdischen Gemeinden in Stommeln und Fliesteden, in: Juden in Stommeln, Geschichte einer jüdischen Gemeinde im Kölner Umland, Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde, hrg. vom Verein für Geschichte und Heimatkunde e.V., Pulheim 1983, Teil 1

Rolf Dueser, Die ältesten Belege über Juden in Stommeln in der Lebensbeschreibung der Seligen Christina von Stommeln, in: "Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde", 10/1986, S. 56 - 61

Josef Wisskirchen, Reichspogromnacht an Rhein und Erft. - 9./10.November 1938. Eine Dokumentation, Pulheim 1988

L.Heid/J.H.Schoeps (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Rheinland, Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1992, S. 334/335

Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Regierungsbezirk Köln, J.P.Bachem Verlag, Köln 1997, S. 209 - 213

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 593

Gerhard Dornseifer/Angelika Schallenberg, Synagoge Stommeln - Kunstprojekte, Hatje Cantz Verlag, 2000

Stefan Palm – Amt für Presse- u. Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Köln, (Red.), "Juden in Stommeln" - WDR-Filmdokumentation in der Germanica Judaica, 26.1.2009

Axel Hill (Red.), Zum Gedenken – Stommeln will keine Stolpersteine, in: express.de vom 7.6.2010

Stadt Pulheim (Hrg.), Die Geschichte der Stommelner Synagoge, in: synagoge-stommeln.de (Anm. auch in englischer Sprache vorhanden)

Michael Kohler (Red.), Synagoge Stommeln – Wie die Kunst vom Holocaust erzählt, in: „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 4.10.2019

Maria Machnik (Red.), Schüler und Schülerinnen setzen sich ein. Erste Stolpersteine in Pulheim verlegt, in: „Rhein-Erft-Rundschau“ vom 17.3.2022