Swinemünde/Usedom (Vorpommern)
Swinemünde lag im preußischen Regierungsbezirk Stettin und war bis zum Zweiten Weltkrieg das drittgrößte Ostseebad; nach 1945 wurde es das polnische Swinoujscie; derzeit zählt die Stadt ca. 41.000 Einwohner – auf den Inseln Usedom, Wollin und Kaseburg am Stettiner Haff gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Świnoujście, D. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
hist. Ansichtskarte (um 1900)
Die Insel Usedom ging 1721 in preußischen Besitz über. Etwa 20 Jahre später wurde mit dem Bau eines Hafens begonnen, um den sich dann der Ort Swinemünde ausbildete. Im Laufe des 19.Jahrhunderts - die Kleinstadt entwickelte sich nun auch zu einem Badeort - ließen sich auch jüdische Familien in Swinemünde nieder. Die ersten beiden Händler, die sich 1816 hier ansässig machten und bald große Familien gründeten, waren Fürchtegott Isenthal und J.Benjamin Ehrlich; zu ihnen gesellte sich wenige Jahre später der Schnittwarenhändler Joseph Jacob Jacoby.
An die Öffentlichkeit traten die Juden Swinemündes erstmals 1821, als sie anlässlich eines Todesfalles um einen Begräbnisplatz baten. In der Nähe des alten evangelischen Friedhofs (Friedensstraße) konnte eine kleinflächige Begräbnisstätte in Nutzung genommen werden – später als der „Alte jüdische Friedhof“ bezeichnet. In den 1870er Jahren musste aus Platzmangel eine andere Begräbnisstätte gesucht werden; die Kommune stellte für den neuen jüdischen Friedhof in der Nähe alten Ahlbecker Landstraße Dünengelände zur Verfügung, auf dem die Gebeine der auf dem alten Friedhof Begrabenen umgebettet wurden. Das neue Friedhofsareal wurde bis 1938 genutzt.
Gottesdienstliche Zusammenkünfte fanden seit den 1820er Jahren in Privaträumen des jüdischen Kaufmanns Isenthal in der Großen Kirchenstraße statt. Mehr als drei Jahrzehnte nutzte die jüdische Gemeinde ein Gebäude in der Blücherstraße (später Bismarckstraße), ehe im September 1859 ein schlichtes Synagogengebäude eingeweiht werden konnte. Die gesamten Kosten wurden durch Spenden aufgebracht.
Eine jüdische Schule gab es in Swinemünde nicht.
Juden in Swinemünde:
--- 1816 ........................... 2 Juden,
--- 1831 ........................... 32 “ ,
--- 1852 ........................... 50 “ ,
--- 1862 ........................... 74 “ ,
--- 1871 ........................... 72 “ ,
--- 1887 ........................... 130 “ ,* * Synagogengemeinde
--- 1925 ........................... 128 “ ,
--- 1932 ........................... 70 “ ,*
--- 1939 ........................... 29 “ ,
--- 1942 (Okt.) .................... ein “ ().
Angaben aus: W. Wilhelmus, Juden in Vorpommern, in: Geschichte Meckl.-Vorpommern No.8/1996, S. 45 und S. 57
Der nach 1900 umsichgreifende sog. „Bäder-Antisemitimus“ war auch in Badeorten auf Usedom zu verzeichnen; so machten etliche Bäder-Verwaltungen Werbung mit ‚judenfreien Badestränden‘.
Wie in anderen pommerschen Seebädern kam es in den 1920er Jahren auch in Swinemünde immer häufiger zu Verunglimpfungen und Belästigungen jüdischer Urlauber, die teilweise in antisemitische Ausschreitungen eskalierten.
[vgl. Kolberg (Hinterpommern)]
Aus einem Artikel der „Greifswalder Zeitung” vom 19.Aug. 1920:
„ Am Sonnabend abend gegen 11 Uhr fanden judenfeindliche Kundgebungen auf der Strandpromenade statt. Eine große Menschenmenge, darunter Reichswehrsoldaten und Marineangehörige, zogen mit Musik und Gesang vor verschiedene Lokale. Dort wurden judenfeindliche Reden gehalten und Drohrufe gegen jüdische Badegäste ausgestoßen. Ernste Zusammenstöße konnten vermieden werden, da die Polizeimannschaft die Demonstranten zerstreute.”
Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben jüdischer Einwohner bzw. Kurgäste wurde im Laufe der Jahre nun immer mehr eingeschränkt; so war das Betreten der Strände für Juden ab 1935 verboten.
Über den Novemberpogrom von 1938 in Swinemünde hieß es lapidar im Lagebericht des Regierungspräsidenten von Stettin vom 10.11.1938: „Swinemünde: Synagoge abgebrannt, 3 Juden in Schutzhaft.”
Die Stadtverwaltung Swinemündes ließ die Synagogenruine und die zerstörte Friedhofskapelle später sprengen und dem Erdboden gleichmachen; zur Deckung der Kosten wurde das schmale Restvermögen der Synagogengemeinde beschlagnahmt. Mitte Februar 1940 wurden die wenigen noch in der Stadt verbliebenen Juden – zusammen mit ca. 1.100 pommerschen Juden (vor allem aus Stettin, Stralsund, Anklam, Pasewalk u.a.) - von Stettin aus in den Distrikt Lublin deportiert. 1942 lebte nur noch ein einziger jüdischer Bewohner in Swinemünde.
Anfang Oktober 1943 erreichten etwa 200 dänische Juden aus dem Großraum Kopenhagen per Schiff Swinemünde; sie wurden von hier aus weiter nach Theresienstadt verschleppt.
An die jüdische Vergangenheit Swinemündes erinnert heute nichts mehr.
Das Gelände des ehemaligen jüdischen Friedhofs ist heute von einem Wäldchen bestanden (Aufn. aus: travelnetto.de).
Die erstmalige Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ auf der Insel Usedom erfolgte im Herbst 2014 in Heringsdorf; die sieben Steine erinnern an Mitglieder zweier jüdischer Familien, die Opfer des Holocaust wurden. Mitte Februar 1940 waren neun Heringsdorfer Juden nach Lublin ins damalige Generalgouvernement verschleppt worden
Während in den 1920er Jahren in den benachbarten Seebädern Ahlbeck und Bansin der sog."Bäder-Antisemitismus" immer mehr an Einfluss gewann, galt Heringsdorf noch bis Mitte der 1930er Jahre als „judenfreundlich“. Nach Beschluss die Kommunalvertretung vom Juni 1935, „dass Juden im Seebad Heringsdorf unerwünscht sind“ wurde ihnen nun laut Kurordnung das Baden verboten. Wenige Wochen später erging dann zudem die Anweisung, jüdische Hotels und Pensionen weder im Bäderprospekt noch im Wohnungsverzeichnis auszuweisen
Mitte Febr. 1940 wurden neun in Heringsdorf lebende Juden - unter ihnen die fünfköpfige Familie Saulmann - in einem großen Sammeltransport von Stettin aus "in den Osten" deportiert.
alle Aufnahmen: OTFW, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0
In der heutigen Friedensstraße hatte die Fam. Julius Saulmann ein Textil- u. Modewarengeschäft betrieben.
Bansin – Nachbarort von Heringsdorf – wurde im Jahre 1933 als erstes deutsches Seebad vom damaligen Gauleiter Pommerns, Peter von Heidebreck, für „judenfrei“ erklärt.
Aus dem Seebad Zinnowitz stammt das sog. "Zinnowitzlied", ein antijüdisches Spottlied; es wurde hier bereits in den 1920er Jahren gesungen bzw. auf Postkarten gedruckt, die Kurgäste als „Urlaubsgruß aus Zinnowitz“ versenden konnten. Im Liedtext hieß es u.a.: „ … Und wer da naht vom Stamm Manasse, ist nicht begehrt, dem sei‘s verwehrt. Wir mögen keine fremde Rasse! Fern bleibt der Itz von Zinnowitz“. Der Romanist Victor Klemperer, der in den 1920er Jahren mehrfach Urlaub auf Usedom machte, schrieb 1927 über Zinnowitz: „Zinnowitz wäre ein Bad wie die andern hier auch, aber es ist das betont judenreine Bad, es ist in Judenreinheit Bansin noch überlegen. Am (sehr langen) Landungssteg führt es die Hakenkreuz-Fahne."
Abb. aus: wikipedia.org/wiki/Zinnowitzlied
Das Zinnowitzlied wurde nach der Melodie des Volksliedes „Hipp, hipp, hurra!“ gesungen.
Weitere Informationen:
M.Heitmann/J.H.Schoeps (Hrg.), “Halte fern dem ganzen Land jedes Verderben ...”, Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Georg Olms Verlag, Hildesheim/Zürich 1995
Wolfgang Wilhelmus, Juden in Vorpommern, in: "Geschichte Mecklenburg-Vorpommern", No.8/1996, hrg. von Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern, 1986
Michael Brenner, Zwischen Marienbad und Norderney. Der Kurort als ‘Jewish Space’, in: "Jüdischer Almanach", Frankfurt/M. 2001, S. 119 - 137
Michael Wildt, ‘Der muß hinaus ! Der muß hinaus !’ Antisemitismus in deutschen Nord- und Ostseebädern 1920 - 1935, in: "Mittelweg 36", Heft 4/2001, S. 2 - 25
Frank Bajohr, „Unser Hotel ist judenfrei“ - Bäder-Antisemitismus im 19. und 20.Jahrhundert, S.Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2003
Wolfgang Wilhelmus, Geschichte der Juden in Pommern, Ingo Koch Verlag, Rostock 2004
Marthe Burfeind/Hannah-Sophia Rogg, Die jüdische Gemeinde in Swinemünde, in: Der Golm und die Tragödie von Swinemünde, hrg. vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., nordlicht verlag, Karlshagen 2010, S. 77 – 96
Die Synagoge in Swinemünde, in: Kirchen und Gotteshäuser in Swinemünde, online abrufbar unter: swinemuende.eu (Anm. enthält Informationen über die jüdische Ortshistorie)
Swinoujscie, in: sztetl.org.pl
Frank Bajohr (Bearb.), Das Zinnowitzlied: Ein Symbol des Bäder-Antisemitismus, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 2016
Auflistung der Stolpersteine in Heringsdorf, online abrufbar unter. wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Heringsdorf
Dietmar Pühler (Red.), Heringsdorfer gedenken ermordeter Mitbürger, in: „OZ - Ostsee-Zeitung" vom 21.2.2018
Kristine von Soden, „Ob die Möwen manchmal an mich denken?“: die Vertreibung jüdischer Badegäste an der Ostsee, Berlin 2018 (Anm. enthält mehrere Aufsätze zu Badeorten an der Ostseeküste)
Heinrich Karstaedt (Red.), Heringsdorf gedenkt der ermordeten jüdischen Mitbürger, in: „OZ – Ostsee-Zeitung“ vom 10.2.2019
Nils Klawitter (Red,), Baden verboten, in: Jüdisches Leben in Deutschland, in: „Der SPIEGEL – GESCHICHTE", 4/2019, S. 64 - 69
N.N. (Red.), Ab 1920 erstarkte der Antisemitismus auf Usedom, in: „OZ – Ostsee-Zeitung“ vom 7.11.2019
Fritz Spalink, Heringsdorfer Geschichte. Sie haben Spuren hinterlassen. Jüdisches Leben auf Usedom, Bürgerleben Verlags GmbH 2022 (Teilinhalte auch online abrufbar unter: buergerleben.com/juedisches-leben-auf-der-insel-usedom/)