Syke (Niedersachsen)
Syke ist eine niedersächsische Kleinstadt mit derzeit ca. 25.000 Einwohnern im Norden des Landkreises Diepholz - ca. 20 Kilometer von Bremen entfernt (Karte der Kurhannoverschen Landesaufnahme von 1775, aus: wikiwand.com/de/syke und Kartenskizze 'Landkreis Diepholz', aus: ortsdienst.de/niedersachsen/diepholz).
"Ampt Syke" - Amtshof links und Dorf rechts auf dem Merian Stich (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Seit den 1720/1730er Jahren lebten Angehörige der jüdischen Glaubensgemeinschaft im Flecken Syke. Die Familie von Victor Joseph aus Hoya war die erste, die sich im Amt Syke niederließ; ein 1730 ausgestellter Schutzbrief von Georg III., des Kurfürsten von Hannover, garantierte seinem Inhaber:
„ Wir Georg der Andere Uhrkunden hiemit, und bekennen, daß wir auf allerunterthänigstes verhalten Victor Joseph, Juden in Gnaden Zugelaßen und Verstattet haben, daß derselbe mit Weibe und unverheurahteten Kindern, eigenen Haus Genoßen und Haabseligkeit, Zu Sycke sich häuslich enthalten möge, gestalt wir dann hiemit und in Kraft dieses ihn und die Seinigen in unsern sonderbahren Schutz, Schirm und Vertretung gegen ungerechte Gewalt vom Johanny dieses 1730ten Jahres an Zurechnen, Zehen Jahre lang, und also bis wieder Johanny des Ein Tausend Siebenhundert und Viertzigsten Jahrs, auf und angenommen haben. ... “
(aus: Hauptstaatsarchiv Hannover, 74 Syke, No. 218)
Zu Beginn des 19.Jahrhunderts lebten im Flecken Syke fünf jüdische Familien; ob sich noch weitere „unvergleitete“ Juden in den Dörfern des Amtes Syke aufhielten, ist nicht bekannt. Ständig waren die Syker Bürger darauf bedacht, keine weiteren Juden hier ansässig werden zu lassen. Bis in die NS-Zeit hinein blieb die Zahl der jüdischen Bewohner in Syke stets verschwindend gering.
Seit Beginn des 19.Jahrhunderts besaß die Judenschaft Sykes ein Grundstück an der heutigen Gesseler Straße, auf dem zu Beginn des 19.Jahrhunderts ein kleines Synagogengebäude errichtet wurde.
Bis zu Beginn des 19.Jahrhunderts mussten verstorbene Juden auf dem ca. zwanzig Kilometer entfernten jüdischen Friedhof in Hoyerhagen beerdigt werden. Um 1805 (oder 1835 ?) wurde dann ein kleiner Begräbnisplatz am Südrand der Syker Feldmark ('Kettlers Heide') angelegt; hier fanden nicht nur die verstorbenen Syker Juden, sondern auch die aus Brinkum, Leeste und Kirchweyhe ihre letzte Ruhe. Der älteste noch vorhandene Grabstein trägt die Jahreszahl 1836. In den Anfängen jüdischer Ansässigkeit waren Verstorbene auf dem ca. 20 Kilometer entfernten Friedhof in Hoyerhagen beerdigt worden.
Juden in Syke:
--- 1797 .......................... 23 Juden,
--- um 1800 ....................... 4 jüdische Familien,
--- 1810 .......................... 35 Juden,
--- 1824 .......................... 26 “ ,
...................... ca. 80 " ,* * im Amt Syke
--- 1848 .......................... 28 “ ,
--- 1871 .......................... 27 “ ,
--- 1885 .......................... 31 " ,
--- 1895 .......................... 35 " ,
--- 1905 .......................... 27 “ ,
--- 1925 .......................... 30 “ ,
--- 1933 .......................... 21 “ ,
--- 1938 (Okt.) ................... 6 jüdische Familien,
--- 1939 (Mai) .................... 9 Juden,
--- 1940 .......................... keine.
Angaben aus: H.Focke/H.Greve/H.Kurth, Als die Synagogen brannten, S. 45
und U. Hager (Bearb.), Syke, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen u. Bremen, Bd. 2, S. 1464
Mühlendamm in Syke - hist. Postkarte (Abb. aus: akpool.de)
Erst seit Mitte des 19.Jahrhunderts konnten Juden Grund und Boden erwerben; bis dahin lebten sie ausnahmslos in gemieteten Wohnungen. Fast alle im Flecken Syke ansässigen Juden waren als Schlachter und auch als Viehhändler tätig; die meisten von ihnen betrieben daneben noch Kleinwarenhandel.
Seit der Reichstagswahl im Herbst 1930 war der Kreis Syke eine der Hochburgen der NSDAP; bei den Juli-Wahlen 1932 erhielt die Partei 51,5% der Stimmen. Damit veränderten sich auch teilweise die Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden in Syke; allmählich begann die Ausgrenzung der jüdischen Minderheit. Zum Boykott jüdischer Geschäfte rief die NSDAP-Ortsgruppe am 31.März 1933 in einer großformatigen Anzeige in der „Syker Zeitung” auf:
In den ersten beiden Jahren der NS-Herrschaft wurde das Leben der Syker Juden kaum eingeschränkt. Im Laufe des Jahres 1935 verschärfte sich die antisemitische Grundstimmung. Maßgeblich dafür verantwortlich waren zwei Kundgebungen der NSDAP aus Anlass der Einweihung der beiden „Stürmer“-Kästen. Auch Verbotsschilder, z.B. an der Badeanstalt, wiesen Juden nun darauf hin, dass sie als „unerwünscht” galten. Bis 1939 hatten fast alle Syker Juden ihren Heimatort verlassen; sie waren zumeist nach Bremen übergesiedelt. Das Synagogengebäude war 1937 an einen Syker Landwirt verkauft worden. Nur noch wenige Juden erlebten die Ausschreitungen in Syke während des Novemberpogroms von 1938 noch. Am 11.11.1938 berichtete das NS-Presseorgan „Syker Zeitung” über die Ereignisse in der Region.
Das war schon lange fällig
Twistringer Synagoge niedergebrannt
.... In den frühen Morgenstunden des gestrigen Tages ... kam es zu erregten Kundgebungen gegen die im Kreise wohnenden Juden. So vor allem in Syke, Bassum, Twistringen und Hoya. Die männlichen Juden wurden in Schutzhaft genommen und nach Bassum gebracht. ... In Twistringen sammelte sich die erregte Menge am frühen Morgen vor der Synagoge. Schnell loderte mit der Flamme der Empörung die Flamme des Feuers auf. ... Die Twistringer Feuerwehr sorgte dafür, daß der Brand lokalisiert wurde und sich aus der muffigen Bude die Flammen nicht weiter verbreiten konnten. Auch in Hoya ging die Synagoge in Flammen auf.”
Die wenigen männlichen Juden Sykes wurden - zusammen mit denen aus Hoya - nach Hannover, von hier aus dann ins KZ Buchenwald verschleppt. Ende des Jahres 1939 war Syke fast „judenfrei”; nur ein „in Mischehe“ verheirateter Jude lebte bis Oktober 1942 noch in Syke.
Etwa 15 gebürtige Syker Juden sollen der „Endlösung“ zum Opfer gefallen sein; fünf sollen angeblich überlebt haben, von ihnen kehrte nach Kriegsende nur ein einziger in seinen Heimatort zurück.
Im Jahre 1947 fand vor dem Landgericht Verden der Prozess gegen neun ehemalige SA-Angehörige statt, darunter gegen den ehemaligen SA-Standartenführer Gustav Quinckhardt aus Syke; zur Verhandlung standen die Ausschreitungen und Synagogenbrände in verschiedenen Orten des Kreises Hoya und Diepholz. Erst in einem zweiten Verfahren im April 1951 wurde Quinckhardt zu einer 15monatigen Haftstrafe verurteilt, die aber zu dem Zeitpunkt bereits als verbüßt galt.
1977 wurde das inzwischen verfallene ehemalige Synagogengebäude an der Gesseler Straße - jahrelang als Scheune genutzt - abgerissen. Seit 1991 erinnert neben der Christuskirche in Syke eine Gedenktafel an die Angehörigen der ehemaligen jüdischen Gemeinde. Einige Jahre später wurde hier Mahnmal errichtet, das namentlich an die verfolgten und ermordeten jüdischen Bewohner erinnert - geschaffen von den Syker Künstlern Elsa Töbelmann und Henning Greve.
Mahnmal (Aufn. E. 2022, aus: wikipedia.org, CCO)
2006 wurden die ersten sog. „Stolpersteine“ in Syke verlegt; inzwischen gibt es davon insgesamt ca. 20, die an sieben Stellen der Kleinstadt in die Gehwegpflasterung eingelassen sind (Stand 2024).
verlegt in der Georgstraße, am Bremer Weg und in der Gesseler Straße (Aufn. B., 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Ein Straßenzug in Syke trägt den Namen von Dora Löwenstein; sie war mit ihrer Familie nach Minsk deportiert worden.
Am ehemaligen Standort der Syker Synagoge (Gesseler Straße) wurde 2023 eine kleine Gedenkstele mit angebrachter Info-Tafel enthüllt, die an das Gotteshaus und die jüdischen Familien erinnert, die zumeist der NS.Herrschaft zum Opfer gefallen sind.
Auf dem ca. 800 m² großen jüdischen Friedhofsgelände – zwischen der Hohen Straße und der Lindhofhöhe – findet man noch ca. 35 Grabsteine verstorbener Juden; der älteste vorhandene Stein datiert 1836. In zwei Sammelgräbern wurden auf dem Gelände auch 14 sowjetische Kriegsgefangene beerdigt.
jüdischer Friedhof in Syke (Aufn. S., 2008/2009, aus: wikipedia.org, GPL)
Informationstafel auf dem jüdischen Friedhof in Syke (Abb. S., 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Der relativ großflächige jüdische Friedhof in Hoyerhagen war lange Zeit zentrale Begräbnisstätte der Juden aus der Region (Nordkreis von Diepholz); hier wurden Verstorbene aus Bruchhausen-Vilden, Bücken, Syke, Thedinghausen und Verden begraben. Das ca. 5.000 m² große Friedhofsgelände befindet sich auf einem Hügel (Am Kahlenberge) mitten im Wald. Der älteste von ehemals dort befindlichen 400 Grabsteinen stammt aus dem Jahre 1714; heute findet man hier nur noch 180 Steine.
jüdischer Friedhof Hoyerhagen (Aufn. O., 2007, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0 und 2009, aus: commons.wikimedia.org CCO)
Weitere Informationen:
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu den Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Niedersachsen II (Reg.bezirke Hannover und Weser-Ems), Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1986, S. 8 ff.
H.Focke/H.Greve/H.Kurth, Als die Synagogen brannten - der Judenpogrom vom 9./10.November 1938 in Deutschland und im Kreis Diepholz. Seine Vorgeschichte und seine Folgen, Arbeitskreis Regionalgeschichte Syke, 2.Aufl., Sulingen 1988, S. 27 - 96
Günter Schmidt-Bollmann, Aneignen und bewahren - Der jüdische Friedhof in Hoyerhagen, in: "Der Holznagel - Mitteilungsblatt für Mitglieder der Interessengemeinschaft Bauernhaus e.V.", 6/1988 und 3/1989, S. 4 f. und S. 15 f.
Kerstin-Melanie Kraatz, ... und nur die Toten sind noch da. Der alte Judenfriedhof in Hoyerhagen/Nienburg, Bremen 1994
Ilse Henneberg/u.a. (Bearb.), Verfolgte in der Heimat, Brinkum 1994
Klaus Fischer/Hermann Greve, Stadtbilder aus Syke, Leipzig 1996
Heinz-Hermann Böttcher, Der Jüdische Friedhof in Syke - Dokumentation, Syke 2002
Uwe Hager (Bearb.), Syke, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Bd. 2, S. 1464 – 1470
Daniel Fraenkel (Bearb.), Hoya, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Bd. 2, S. 893 – 899 (betr. Jüdischer Friedhof Hoyerhagen)
Hermann Greve, „Stolpersteine“ - Der Erinnerung einen Namen geben. ... Eine Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Syke, hrg. von der Stadt Syke, Syke 2007
gre/vog (Red.), Noch drei „Stolpersteine“ für Syke, in: „Kreiszeitung“ vom 3.11.2011 (Anm. mit biografischen Angaben zu den NS-Opfern)
Ulrich Knufinke, Stätten jüdischer Kultur und Geschichte in den Landkreisen Diepholz und Nienburg, hrg. vom Landschaftsverband Weser-Hunte e.V, Nienburg 2012, S. 29 - 31
Jörn Dirk Zweibrock (Red.), Steinernes Archiv der Geschichte, in: „Weser-Kurier“ vom 26.1.2014 (betr. Jüdischer Friedhof in Hoyerhagen)
Bjarne Dänekas (Red.), Vom Gefängnis in Bassum in das Lager Buchenwald, in: „MK Kreiszeitung“ vom 12.4.2016
Dorit Schlemermeyer (Red.), Letzte Mahnmale jüdischen Lebens, in: „Syker Kurier“ vom 13.11.2018
N.N. (Red.), Vor Start der Bauarbeiten: Stadt bringt Stolpersteine in Sicherheit, in: „MK Kreiszeitung“ vom 4.2.2020
N.N. (Red.), Friedhöfe in Syke und Sulingen erinnern an jüdisches Leben, in: "MK Kreiszeitung" vom 19.11.2021
Michael Walter (Red.), Syke weiht Gedenktafel am Standort der ehemaligen Synagoge ein, in: „MK Kreiszeitung“ vom 27.1.2023
Lina Wentzlaff (Red.), Ehemalige Synagoge – Stadt Syke weiht Gedenktafel ein, in: „Weser-Kurier“ vom 30.1.2023
Dagmar Voss (Red.), Spurensuche auf dem jüdischen Friedhof, in: „Weser-Kurier“ vom 8.11.2023