Teplitz-Schönau (Böhmen)
Die Ortschaft Teplitz (tsch. Teplice) - am südlichen Fuße des Erzgebirges gelegen - entstand an den hier vorhandenen Heilquellen. Seit 1160 war Teplitz Standort eines Benediktinerinnenklosters; an dessen Stelle wurde im 16.Jahrhundert ein Schloss erbaut. Heute ist Teplice-Šanov mit seinen derzeit ca. 50.000 Einwohnern eine Bezirksstadt in der nordböhmischen Region Aussig (Ausschnitt aus hist. Landkarte, aus: wikipedia.org, PD-alt-100 und Kartenskizze 'Tschechien' mit Lage von Teplice, aus: commons.wikimedia.org, CCO).
Anfang des 20.Jahrhunderts gehörte die jüdische Gemeinde von Teplitz zu den mitgliederstärksten Gemeinden in Böhmen.
Blick auf das böhmische Teplitz (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die Wurzeln der jüdischen Gemeinde von Teplitz reichen bis Anfang des 15.Jahrhunderts zurück, als vertriebene Juden aus Brüx hier Aufnahme fanden; um 1480 hat sich vermutlich hier eine Gemeinde gebildet. Aus der Zeit des 16.Jahrhunderts stammten eine Synagoge und eine jüdische Schule. Durch Zuzug jüdischer Familien nach dem Dreißigjährigen Krieg wuchs die Zahl der in Teplitz lebenden Juden weiter an; doch schon 1668 wurden die meisten wieder aus der Stadt ausgewiesen; sie ließen sich im Nachbarort Soborten (tsch. Sobědruhy) nieder. Die verbliebenen jüdischen Familien mussten fortan im neu angelegten Ghetto leben, das durch Tore und Mauern von der übrigen Stadt abgetrennt war. Beim großen Stadtbrand von 1793 wurde das gesamte Judenviertel zerstört. Mit Unterstützung der Obrigkeit konnte es bald wieder aufgebaut werden; man verzichtete fortan auf eine strenge Abgrenzung des Ghettobezirks. Ihren Lebensunterhalt verdienten die hiesigen Juden im Naturalien- und Textilhandel, aber auch im Kreditgeschäft.
Auch in Teplitz mussten die jüdischen Familien im Laufe der Jahrhunderte mit Anfeindungen seitens der christlichen Bewohner und allgemeinem Judenhass leben. 1849 wurden die Teplitzer Juden gleichberechtigte Bürger der Stadtgemeinde; zwölf Jahre später fielen dann die letzten Restriktionen; so durften sie jetzt auch Grund und Boden erwerben. Es begann ein steiler wirtschaftlicher Aufstieg vieler Juden, die als Unternehmer und Kaufleute tätig waren; verbunden war oft eine Assimilierung mit der christlichen Umwelt und ein Rückzug aus ihren religiösen Verpflichtungen. In den 1890er Jahren besaßen Teplitzer Juden als Fabrikanten, Kaufleute, Ärzte und Rechtsanwälte Ansehen und Einfluss in der Stadt; sie fungierten als Mitglieder des Stadtrates und waren in Handels- und Kulturvereinen vertreten.
Bereits Mitte des 16.Jahrhunderts wurde in den Stadtbüchern eine Synagoge erwähnt; daneben gab es damals auch eine Schule und eine Mikwe.
im jüdischen Viertel von Teplitz (Lithographie)
Anfang der 1880er Jahre ließ die sprunghaft angewachsene und reiche jüdische Gemeinde eine neue, repräsentative Synagoge erbauen, die die alte in der damaligen Karlsgasse ablöste. Der Neubau mit seiner mächtigen Kuppel auf dem „Jüdischen Hügel“ – entworfen vom Wiener Architekten Wilhelm Stiassny - wurde bald zum neuen Wahrzeichen der Stadt. Es war die größte Synagoge, die jemals in Böhmen gebaut wurde; sie bot fast 1.400 Menschen Platz.
Aus einer Beschreibung des Rabbiners Dr. Friedrich Weihs: „ ... Die neue Synagoge, eine der schönsten Bauten unserer Stadt, bietet in ihrer großzügigen, dabei feingegliederten Architektur einen wundervollen Anblick. Hoch ragt die Hauptkuppel, vom Davidstern gekrönt, und von den vier kleineren Eckkuppeln ... flankiert, wie eine gewaltige und bergende Festung des Glaubens empor. Kilometerweit ist unsere Synagoge, die auf einem der hochgelegenen Punkte der Stadt steht, zu erblicken. Ihrer äußeren Formenschönheit entspricht die Innenarchitektur. Durch die geräumige Vorhalle, an deren beiden Seiten die Treppenaufgänge zu den Emporen sich befinden, betritt man den Innenraum, der, dreischiffig, den Ausblick zu dem an der Ostseite gelegten erhöhten Altarraume und der Toralade bietet. ... Die Synagogeneinrichtung wurde zum größten Teile von Mitgliedern der Gemeinde kostenlos beigestellt und wertvolle Spenden bildeten den Grundstock der edlen ‘heiligen Geräte und des heiliges Schmuckes’ ...”
Teplitzer Synagoge (hist. Postkarte um 1920, aus: wikipedia.org, CCO) - Synagogenmodell (aus: wikipedia.org, CCO)
Anzeige von 1905 (Abb. T., commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Eine jüdische Schule mit deutscher Unterrichtssprache gab es bereits seit Ende des 18.Jahrhunderts; sie wurde aber erst nach 1900 als öffentliche Schule anerkannt. In Teplitz bestanden zahlreiche jüdische Vereine und Logen, die meist im Laufe der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts gegründet worden waren.
Eine Begräbnisstätte gab es spätestens seit ca. 1480. Um 1670 wurde ein zweites Areal geschaffen, das etwa zwei Jahrhunderte in Nutzung war; hier wurden bis gegen Mitte des 18.Jahrhunderts auch Juden aus Sachsen (Dresden, Freiberg) begraben. Anfang der 1860er Jahre erfolgte die Einweihung des „Neuen Friedhofs“, der heute mehr als 2.000 Grabstätten besitzt.
Juden in Teplitz-Schönau:
--- 1414 .......................... 20 jüdische Familien,
--- 1618 ......................... 78 Juden,
--- 1652 ......................... 231 “ ,
--- 1726 ......................... 55 jüdische Familien (ca. 300 Pers.),
--- 1783 ........................ 58 " " ,
--- 1795 ..................... ca. 430 Juden,
--- um 1850 .................. ca. 500 " (ca. 18% d. Bevölk.),
--- 1870 ......................... 1.280 “ ,
--- 1880 ......................... 1.718 “ ,
--- 1890 ......................... 1.865 “ (ca. 9% d. Bevölk.),
--- 1900 ......................... 2.841 “ ,* * incl. Turn
......................... 3.123 “ ,** ** im Gerichtsbezirk Teplitz
--- 1910 ......................... 2.704 “ ,
--- 1921 ......................... 3.128 “ ,
--- 1930 ......................... 3.213 “ (ca. 10% d. Bevölk.),
--- 1932 ..................... ca. 5.000 “ ,**
--- 1940 (Okt.) .............. ca. 200 “ ,*** *** Flüchtlinge aus SO-Europa
--- 1949 ..................... ca. 400 “ ,
--- 1965 ..................... ca. 500 " ,
--- 2000 ..................... ca. 100 “ ,
--- 2014 ..................... ca. 125 " .
Angaben aus: Friedrich Weihs, Geschichte der Juden in Teplitz, S. 646 f.
und Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Teplitz (Stadtinformationen)
hist. Postkarte um 1905, aus: wikipedia.org, CCO
Während des Ersten Weltkrieges wuchs die Zahl der Juden in der Region Teplitz durch den Zustrom tausender Flüchtlinge aus Galizien enorm an. Die meisten von ihnen wanderten nach 1918 wieder in ihre alten Siedlungsgebiete ab; doch ein Teil blieb in der Region, war aber nicht integriert, da man an der streng-orthodoxen Glaubenshaltung und Lebensführung festhielt. Sie begründeten eine eigene Gemeinde, die seit 1925 ihre Gottesdienste in der alten Synagoge abhielt; der eigene Verein „Tarbut“ förderte die Kenntnisse in der hebräischen Sprache. Um 1930 gehörten der ostjüdischen Gemeinde etwa 700 Personen an.
Dank ihrer starken ökonomischen Position waren die Teplitzer Juden sehr einflussreich im Finanz- und Handelsbereich der Region; als Mitglieder in Kultur- und politischen Vereinen sowie in Parteien nahmen sie aktiv am öffentlichen Leben der Stadt teil. Um 1935 waren von insgesamt 231 Großbetrieben in der Stadt 89 in jüdischem Besitz; fast alle Geschäfte der Stadt gehörten jüdischen Familien. Angesichts der drohenden Gefahr der Besetzung des Sudetenlandes verließen ab Frühsommer 1938 viele jüdische Familien fluchtartig die Stadt und ließen ihr beträchtliches Vermögen zurück. So sollen bis Ende 1938 etwa 7.000 jüdische Einwohner den Kreis Teplitz verlassen haben.
Im Oktober 1938 fiel Teplitz an das Deutsche Reich. Juden wurden nun aus ihren Wohnungen und Geschäften geholt und danach in einem „Triumphzug“ durch die Stadt geführt. Durch die Flucht der Teplitzer Juden war ihre große Synagoge, die den Pogrom weitgehend unbeschadet überstanden hatte, von den Behörden geschlossen worden. Der Bürgermeister bemühte sich um eine anderweitige Verwendung des Gebäudes, um möglichen Zerstörungen zuvorzukommen. Er plante, das Synagogengebäude als Museum, Stadtarchiv oder Galerie zu nutzen. In der Nacht vom 14./15.März 1939 wurde aber die Teplitzer Synagoge angezündet; sie brannte völlig aus. Die Ruine wurde wenige Wochen später gesprengt.
Der (zweite) jüdische Friedhof, der um 1670 angelegt worden war, wurde nach 1933 fast vollständig von den Nationalsozialisten zerstört; dabei gingen die aus der Zeit der Renaissance und der Epoche des Barocks stammenden Grabsteine unwiederbringlich verloren.
Hertine - wenige Kilometer südöstlich von Teplitz-Schönau gelegen- war ab Herbst 1944 der Standort eines Außenlagers des KZ Flossenbürg, in dem ausschließlich weibliche jüdische Häftlinge aus Ungarn untergebracht waren. Neben dem Einsatz in der Landwirtschaft war vor allem Zwangsarbeit in einer Munitionsfabrik zu leisten. Insgesamt sollen hier relativ erträgliche Lebensbedingungen geherrscht haben. Bei der Evakuierung des Lagers am 20.4.1945 wurden die Frauen über Leitmeritz nach Theresienstadt verbracht; hier wurden sie am 8.Mai 1945 befreit.
Nach Kriegsende gründete sich in Teplitz wieder eine neue jüdische Gemeinde; ihre Angehörigen waren nur zu einem Bruchteil gebürtige Teplitzer; die allermeisten waren jüdische Flüchtlinge aus Karpato-Russland. Die meisten verließen aber bald wieder die Stadt, um in den neu gegründeten Staat Israel auszuwandern. In den 1970er Jahren war die Teplitzer Kultusgemeinde, zu der auch die Kreise Brüx/Most und Komotau/Chomutov gehören, mit knapp 150 Angehörigen die zweitgrößte Gemeinde in der Tschechoslowakei.
1995 wurde am einstigen Standort der im Frühjahr 1939 zerstörten Synagoge ein Denkmal (mit einer Inschrift in tschechisch und hebräisch) errichtet, das auch an die Opfer des Holocaust erinnert.
Denkmal für die ehem. Synagoge (beide Aufn. 2013, aus: wikipedia,org, CCO)
Sog. "Stolpersteine" erinnern im Stadtgebiet von Teplice an einzelne Opfer der NS-Gewaltherrschaft.
Abb. aus: kehila-teplice.cz/stolpersteine
Das neben dem christlichen Friedhof liegende jüdische Begräbnisareal (angelegt in den 1860er Jahren) weist heute noch mehr als 3.000 Gräber auf; viele Grabsteine sind beschädigt oder stark verwittert.
Jüdischer Friedhof in Teplice (Aufn. Ladislav Faigl, 2011, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Die jüdischen Familien von Bilin (tsch. Bilina, derzeit ca. 17.000 Einw.) - der Ort liegt ca. zehn Kilometer südwestlich von Teplitz - gehörten bis in die 1870er Jahre der jüdischen Gemeinde von Teplitz an. Danach bildeten sie - zusammen mit Juden der unmittelbaren Region - eine autonome Kultusgemeinde. Diese verfügte über eine gegen Ende des 19.Jahrhunderts eingerichtete Synagoge und seit 1891 auch über einen Friedhof. Geheörten der jüdischen Gemeinde unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkrieges noch ca. 200 Personen an, so zählte diese um 1925/1930 noch etwa 120 Mitglieder, fünf Jahre später nur noch ca. 70 Personen. Der von den Nationalsozialisten schwer geschändete Friedhof ist bis heute erhalten, in Teilen aber dem Verfall preisgegegen.
Jüdischer Friedhof in Bilina (Aufn. aus: wikipedia.org, CCO)
Das Synagogengebäude ist baulich erhalten geblieben und dient nach mehreren Umbauten seit Jahrzehnten als Wohnhaus.
Ehem. Synagoge in Bilina (Aufn. L. Faigl, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)
Im Kreis Teplitz existierte in Soborten (tsch. Sobědruhy) auch eine autonome jüdische Gemeinde (Anm.: Sobědruhy ist heute ein Stadtteil von Teplice).
[vgl. Soborten (Böhmen)]
Weitere Informationen:
Paul Wanie, Geschichte der Juden von Teplitz, Kaaden 1925
Friedrich Weihs, Aus Geschichte und Leben der Teplitzer Judengemeinde 1782 - 1932, Brünn-Teplitz 1932
Friedrich Weihs (Bearb.), Geschichte der Juden in Teplitz, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I., Brünn/Prag 1934, S. 646 – 673
A.H.Teller (Bearb.), Geschichte der Juden in Bilin und Umgebung, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Brünn/Prag 1934, S. 34 - 37
Hugo Gold (Hrg.), Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Böhmens, Tel Aviv 1975
Bernhard Brilling, Zur Geschichte der Juden in Teplitz im 18.Jahrhundert, in: "Zeitschrift für die Geschichte der Juden", No.15/1978, S. 162 - 174
Ferdinand Seibt (Hrg.), Die Juden in den böhmischen Ländern. Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee November 1981, München/Wien 1983
Jiří Fiedler, Jewish Sights of Bohemia and Moravia, Prag 1991, S. 178 - 180
Rudolf M.Wlaschek, Juden in Böhmen - Beiträge zur Geschichte des europäischen Judentums im 19. und 20.Jahrhundert, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 66, Verlag R. Oldenbourg, München 1997
Ludomir Kocourek, Das Schicksal der Juden im Sudetengau im Licht der erhaltenen Quellen, in: "Theresienstädter Studien und Dokumente 1997", S. 86 - 104
Zlatuse Kukánová/Lenka Matusíková, Die demographische Struktur der israelitischen Kultusgemeinden in Nordböhmen in den Jahren 1945 - 1949, in: "Theresienstädter Studien und Dokumente 1997", S. 105 – 117
Jörg Skiebeleit, Die Außenlager des KZ Flossenbürg in Böhmen, in: "Dachauer Hefte", No. 15/1999, S. 196 - 217
Kvetoslava Kocourková, Die jüdische Gemeinde im Teplitzer Raum in den Jahren 1850 - 1938, in: Die Juden im Sudetenland, Ackermann-Gemeinde, 2000, S. 262 - 269
Helena Krejcová, Die jüdische Gemeinde im Sudetenland u. ihre Schicksale nach dem Münchener Abkommen - 1938, in: Die Juden im Sudetenland, Ackermann-Gemeinde, 2000, S. 140 f.
The Jewish Community of Teplice (Teplitz-Schönau), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/teplice
Jewish Families from Teplice (Teplitz),Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Teplice-Teplitz-Bohemia-Czech-Republic/15195
Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Teplitz (Stadtinformationen), in: teplice.cz/mesto/synagoga
Ann Jensen (Red.), History of the Jewish community in Teplice, online abrufbar unter: kehilalinks.jewishgen.org/teplice/History of Teplice.htm
The Jewish Community of Bilina (Bilin), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/bilina
Jörg Osterloh, Nationalsozialistische Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland 1938 - 1945, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 105, Verlag R. Oldenbourg, München 2006
Liste der in Teplice verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter. wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_im_Ústecký_kraj
Kateřina Čapková /Hillel J. Kieval (Hrg.), Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 140, München 2020, u.a. S. 394