Tholey (Saarland)
Tholey ist eine Kommune mit derzeit ca. 12.000 Einwohnern im Landkreis St. Wendel – ca. 30 Kilometer nördlich von Saarbrücken gelegen (Kartenskizzen 'Saarland', TUBS 2012 und 'Landkreis St. Wendel', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die erste jüdische Familie zog 1729 nach Tholey. Der im lothringischen Oberamt Schaumburg gelegene Ort gehörte ab 1787 zum Herzogtum Zweibrücken. Als Tholey unter dem pfälzischen Herrscherhaus Stadt- und Marktrechte erhielt, wurde nun auch die Ansiedlung von Juden gefördert. Gegen 1790 zählte man in Tholey zehn jüdische Familien, die ihren Lebensunterhalt zumeist im Handel mit Bauern des nahen Umlandes verdienten. Insgesamt lebten die Juden in Tholey in recht ärmlichen Verhältnissen. Mit Beginn der französischen Herrschaft verbesserte sich die wirtschaftliche Existenz der als Viehhändler und Geldverleiher tätigen Juden. Im Viehhandel besaßen sie hier bald ein Monopol. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts lebten die Tholeyer Juden dann nicht mehr vom Vieh-, sondern vom Textilhandel.
Eine eigene Kultusgemeinde in Tholey bildete sich erst Ende der 1830er Jahre; zuvor hatten Tholeyer Juden Gottesdienste in Saarwellingen besucht. Dank Geldsammlungen in jüdischen Gemeinden des Rheinlandes konnten die streng-orthodox ausgerichteten Tholeyer Juden Anfang der 1860er Jahre den Bau ihrer Synagoge in der Trierer Straße realisieren; das Gebäude verfügte über eine Frauenempore; im Keller war eine Mikwe untergebracht. Die Einweihung nahm der Trierer Oberrabbiner Kahn vor.
aus: „Allgemeine Zeitung des Judentums” vom 19.1.1864
Ein recht ausführlicher (pathetisch gehaltener) Beitrag zur Synagogeneinweihung erschien in der Zeitschrift "Ben Chananja" vom 3.Jan. 1864; darin hieß es:
Tholey, 9. Dez.. Am 4. l. Mts. fand in erhebendster Weise die feierliche Einweihung der neu erbauten Synagoge hierselbst statt. Da die Hauptmomente der Feier auch in weiteren Kreisen Verbreitung verdienen, so mögen dieselben nachstehend mitgetheilt werden. Die Feier begann, vom herrlichsten Wetter begünstigt, um halb 1 Uhr mit einem Festzuge aus der alten nach der neuen Synagoge. Unter Anwesenheit des Landraths Herrn von Schlechtendal, des Bürgermeisters Herrn Merten, der Honoratioren und Bürger des hiesigen Ortes, sowie der in großer Anzahl eingetroffenen fremden Glaubensgenossen entwickelte sich das Fest auf die schönste Weise. Durch die dicht mit Zuschauern gefüllten Straßen, an den mit Fahnen geschmückten Häusern entlang, bewegte sich der Zug unter den Klängen der Musik in bester Ordnung nach dem schön gelegenen neuen Gotteshause. Hier angelangt, überreichte der Herr Oberrabbiner, nachdem von einem Mädchen ein passendes Gedicht vorgetragen worden, den Schlüssel zur neuen Synagoge dem Herrn Landrath mit einer kleinen Ansprache, worauf letzterer einige herzliche Worte erwiderte und die Pforten des Gotteshauses erschloß. Den Glanzpunkt der Feier bildete ohnstreitig die von dem würdigen Herrn Oberrabbiner Kahn aus Trier gehaltene gediegene und gehaltvolle Festrede, … Aus der an innerem Gehalte so reichen Rede ist hauptsächlich hervorzuheben der Gedanke, der in dem dritten Teile derselben durchgeführt wurde, daß nämlich, nachdem den Juden bereits die Morgenröte einer besseren Zeit angebrochen war, sie noch immer Hemmnisse, falsche Beschuldigungen und Anfechtungen aller Art zu erleiden hatten, welche sie mit den Waffen des Geistes indessen so siegreich bekämpften, daß ihre Feinde, gleich Jakobs Gegner in der Bibel, ihre Bewunderer geworden sind und es aufgaben, den Bestrebungen zugunsten der Juden entgegen zu treten, sodaß auch ihnen, gleich Jacob, die Sonne der Gleichberechtigung aufgegangen ist. Zur gehobenen Stimmung trug nicht wenig ein hübscher Chorgesang bei, und verließen gewiß alle die heiligen Räume mit innigster Befriedigung. Der Verlauf des Festes am anderen Tage entsprach denn auch in allen Stücken der Hauptfeier, und glaubt Referent annehmen zu dürfen, dass dasselbe noch lange in den Herzen aller Anwesenden eine wohlthuende Erinnerung bleiben wird."
Erst 1893 bildete sich offiziell eine autonome Synagogengemeinde.
Anzeige aus der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 11.Febr. 1856
Eine jüdische Privatschule muss es seit den 1840er Jahren am Ort gegeben haben; etwa knapp 30 Jahre später erhielt diese den Status einer öffentlichen Schule. Seit 1886 gab es ein neues Schulgebäude mit Lehrerwohnung. Der Schulbetrieb wurde in den Jahren des Ersten Weltkrieges eingestellt, nur eine Religionsschule verblieb.
Der jüdische Friedhof war auf einer Anhöhe an der Straße nach Theley - „Vor dem Varuswald“ - gelegen; dessen Anlegung muss vermutlich gegen Ende des 18.Jahrhunderts erfolgt sein.
Juden in Tholey:
--- um 1730 ........................ eine jüdische Familie,
--- 1787 ........................... 10 “ “ n,
--- 1843 ........................... 88 Juden (ca. 10% d. Bev.),
--- 1895 ........................... 91 “ ,
--- 1925 ........................... 45 “ ,
--- 1935 ........................... 41 “ ,
--- 1940 (Sept.) ................... 13 “ ,
(Nov.) .................... keine.
Angaben aus: Michael Landau (Hrg.), Damit es nicht vergessen wird - Beiträge zur Geschichte ..., S. 65 f.
Tholey - hist. Postkarte (Abb. aus: akpool.de)
Das Verhältnis zwischen christlicher Mehrheit und jüdischer Minderheit soll in Tholey „harmonisch und gut“ gewesen sein; allerdings achteten die Juden streng auf die Einhaltung ihrer religiösen Vorschriften.
Als Anfang der 1870er Jahre die jüdischen Händler mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatten, verließen einige wohlhabendere Familien ihre Heimat in Richtung Übersee. Die zurückgebliebenen, meist ärmeren Gemeindemitglieder konnten die finanziellen Aufwendungen für die Gemeindeeinrichtungen nicht mehr aufbringen. Eine Folge war die spätere Auflösung der jüdischen Schule; die betroffenen Kinder besuchten anschließend die katholische Volksschule in Tholey. Die Synagogengemeinde wurde offiziell im Jahr 1916 aufgelöst; denn durch weitere Abwanderungen konnte das religiöse Kultusleben in Tholey nicht mehr aufrecht erhalten werden.
Als 1935 "die Saar ins Reich heimkehrte”, lebten noch etwa 40 Juden in Tholey; doch innerhalb kürzester Zeit verließ mehr als die Hälfte von ihnen den Ort. Nach dem Verkauf des Schulgebäudes musste 1937 auch die Synagoge veräußert werden. Aus diesem Grunde unterblieb während des Novemberpogroms von 1938 auch eine Zerstörung bzw. Inbrandsetzung des ehemaligen Synagogengebäudes, das sich nun in privaten Händen befand. Der neue Besitzer brach Jahre später das Gebäude ab und errichtete auf dessen Grundmauern ein Wohnhaus.
Das letzte jüdische Geschäft in Tholey, ein Schuhgeschäft, wurde während des Novemberpogroms von 1938 vollständig demoliert, das Warenlager öffentlich versteigert. Die letzten 13 noch in Tholey lebenden jüdischen Bewohner wurden am Morgen des 22.Oktober 1940 von der Gestapo abgeholt und den Deportationstransporten ins südfranzösische Lager Gurs zugewiesen.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind isngesamt 34 aus Tholey stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der „Endlösung“ geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/tholey_synagoge.htm).
Der alte jüdische Friedhof „Vor dem Varuswald“, auf dem während der Kriegsjahre auch 75 sowjetische Kriegsgefangene beerdigt worden waren, wurde Mitte der 1950er Jahre wieder in einen ansehbaren Zustand versetzt. Auf dem Waldgelände erinnert ein Gedenkstein an die deportierten und ermordeten Juden aus Tholey.
Zum Andenken an die aus hiesiger Gemeinde 1933 - 1945 Deportieren
Emilie Kahn geb. Katz Moses Isaak u. Frau Bertha geb. Katz Veronika u. Helena Isaak Max Götz u. Frau Rosa geb. Hirsch Kinder Anny u. Margot Götz Emma Bär geb. Löb, Julius Bär mit Frau und Kind Frau Brünette Aach geb. Sender alle aus Tholey.
Eingang und Teilansicht des jüdischen Friedhofs (Aufn. L. Sieht, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Grabmale mit Palmendarstellung und markanter Grabstein (Aufn. J. Hahn, 2004 und L.Sieht, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Vor dem jüdischen Friedhof erinnert der ‘Walter-Sender-Platz’ an den aus Tholey stammenden jüdischen Bürger, der als Sozialdemokrat schon früh vor den Nationalsozialisten warnte. 1935 emigrierte er mit seiner Familie nach Frankreich und überlebte die Kriegsjahre.
Die Straßenbezeichnung „Im Matzenecken“ erinnert in Tholey heute noch an den Ortsbereich, in dem früher zahlreiche jüdische Familien gewohnt haben.
Seit 2015 erinnern sog. „Stolpersteine“ an ehemalige jüdische Bewohner, die Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden sind.
verlegt "Im Mazzenecken" (Aufn. JoshSonn, 2019, in: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Aloys Schneeberger, Dokumentation über ehemalige jüdische Einwohner von Tholey, Tholey 1981
Bodo Bost, Die Juden in Tholey, in: Michael Landau (Hrg.), Damit es nicht vergessen wird - Beiträge zur Geschichte der Synagogengemeinden des Kreises St. Wendel, in: "Veröffentlichungen des Adolf-Bender-Zentrums", Heft 1, St. Wendel 1988, S. 65 - 83
Bodo Bost, Emilie Kahn - ein jüdisches Schicksal in Tholey, in: Michael Landau (Hrg.), Damit es nicht vergessen wird - Beiträge zur Geschichte der Synagogengemeinden des Kreises St. Wendel, in: "Veröffentlichungen des Adolf-Bender-Zentrums", Heft 1, St. Wendel 1988, S. 140 - 143
Hans Eckert, Bericht einer Jüdin aus Tholey, in: Michael Landau (Hrg.), Damit es nicht vergessen wird - Beiträge zur Geschichte der Synagogengemeinden des Kreises St. Wendel, in: "Veröffentlichungen des Adolf-Bender-Zentrums", Heft 1, St. Wendel 1988, S. 162 - 167
Jeanne F. Samuels, Als die Nazis dafür sorgten, daß Juden auf andere Juden aufmerksam wurden, in: Michael Landau (Hrg.), Damit es nicht vergessen wird - Beiträge zur Geschichte der Synagogengemeinden des Kreises St. Wendel, in: "Veröffentlichungen des Adolf-Bender-Zentrums", Heft 1, St. Wendel 1988, S. 176 - 179
H.Jochum/J.P.Lüth (Hrg.), Jüdische Friedhöfe im Saarland. Informationen zu Orten jüdischer Kultur. Ausstellungsführer, Saarbrücken 1992, S. 39/40
Eva Tigmann, Was geschah am 9.November 1938 ? - Eine Dokumentation über die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung im Saarland im November 1938, hrg. vom Adolf-Bender-Zentrum St. Wendel, St. Wendel 1998, S. 41 - 45
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 463
Tholey, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Jüdischer Friedhof in Tholey, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Aufnahmen)
Frank Faber (Red.), Tholey: Stolpersteine wider das Vergessen, in: „Saarbrücker Zeitung“ vom 28.4.2015
Auflistung der in Tholey verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Tholey
Dokumentation des jüdischen Friedhofs in Tholey, in: epidat - epigrafische Datenbank, Hrg. Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut
N.N. (Red.), Spaziergang führt über den jüdischen Friedhof in Tholey, in: „Saarbrücker Zeitung“ vom 11.6.2021