Thorn/Weichsel (Westpreußen)
Das westpreußische Thorn – 1231 vom Deutschen Orden gegründet, später als Hafen- und Hansestadt von großer wirtschaftlicher Bedeutung, ab 1793 preußisch - ist das heutige polnische Toruń mit derzeit ca. 200.000 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Toruń rot markiert, H. 2004, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0).
Die 1233 vom Deutschen Orden gegründete Stadt Thorn, die sich schnell zu einem bedeutenden Handels- und Handwerkszentrum entwickelte, duldete in ihren Mauern jahrhundertelang keine jüdischen Bewohner; eine Ausnahme bildeten nur einige wenige Familien, die für die Stadt „unentbehrlich“ waren. Nur mit Geleitbriefen ausgestattete jüdische Händler besaßen seit dem 16.Jahrhundert die Erlaubnis, während der Jahrmärkte Thorner Stadtgebiet zu betreten und hier Handel zu treiben.
Thorn - Stadtansicht (Stich von Chr. Hartknoch, 1684)
Erst ab den 1780/1790er Jahren, als das Gebiet an Preußen gefallen war, kam es zögerlich zu Ansiedlungen von Juden in der "Vorstadt" Podgorz auf der anderen Seite der Weichsel. Diese steigerten sich im Laufe des 19.Jahrhundert erheblich; die neuen jüdischen Zuwanderer stammten vor allem aus Kujawien und Großpolen.
Zwi Hirsch Kalischer (geb. 1795 in Lissa) war ein orthodoxer Talmudist. In seinem 1862 erschienenen Buch „Derischat Zion“ („Auf der Suche nach Zion“) vertrat er die Auffassung, das "Land der Väter" wieder zu besiedeln und dort die Erneuerung jüdischen Lebens zu erreichen. Auf seinen zahlreichen Reisen durch Europa sowie durch Veröffentlichungen in hebräischen Zeitungen warb Kalischer für seine Idee. Fast sein ganzes Leben verbrachte er in Thorn, wo er 1874 verstarb. Fast sein ganzes Leben verbrachte er in Thorn, wo er 1874 verstarb und dort auf dem jüdischen Friedhof sein Grab fand.
Eine Synagogengemeinde bestand vermutlich ab 1807; die Statuten der Gemeinde wurden erst Jahre später (1822) festgeschrieben.
In Thorn bildeten die Juden keine geschlossene Gruppe; in der Mehrzahl wohnten sie nach 1850 in der Altstadt. Von der angestammten christlichen Bevölkerung, vor allem dem Kaufmannsstand, wurden sie lange Zeit beargwöhnt, was nicht unbedingt ihre Assimilierung förderte; erst im Laufe der Zeit entkrampfte sich das Verhältnis. Die wirtschaftliche Lage der Thorner Juden war - abgesehen von einzelnen wohlhabenden Familien - wegen der hohen Steuer- und Abgabenlast recht bescheiden; in der Mehrzahl verdienten sie ihren Lebenserwerb im Klein- und Trödelhandel, einige betrieben Kreditgeschäfte und beschäftigten sich mit „Nebengeschäften“. Erst in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts übernahmen Juden eine größere Rolle im Wirtschaftsleben der Stadt; so waren in den 1880er Jahren mehr als 40% der Geschäfte/Unternehmen in jüdischer Hand.
Gottesdienstliche Zusammenkünfte fanden zunächst in angemieteten Räumlichkeiten statt. Eine neue Synagoge wurde im September 1847 in der Schilderstraße eröffnet; bei ihrer Einweihung, die der Berliner Rabbiner Michael Jekel Sachs vornahm, waren auch Vertreter der städtischen Behörden und der beiden christlichen Konfessionen anwesend.
Synagoge - rechts im Hintergrund (hist. Postkarte)
Neben der Synagogengemeinde gab es auch eine orthodoxe Gruppierung in der Stadt, die einen eigenen Betsaal besaß. Zeitweise war das Verhältnis zwischen den beiden Glaubensrichtungen von scharfen Auseinandersetzung geprägt. Eine Folge dessen war auch das Vorhandensein zweier jüdischer Schulen, die aber bald an Bedeutung verloren, da die meisten Kinder nun auf christliche Schulen gingen.
Eine erste jüdische Begräbnisstätte in der Jakobsvorstadt kann seit ca. 1725 nachgewiesen werden.
Juden in Thorn:
--- 1766 ............................. 6 jüdische Familien,
--- 1793 ............................. 3 “ “ ,
--- 1802 ............................. 16 “ “ ,
--- 1816 ............................. 262 Juden (knapp 4% d. Bevölk.),
--- 1828 ............................. 248 " ,
--- 1844 ............................. 414 “ ,
--- 1871 ............................. 1.175 “ (ca. 7% d. Bevölk.),
--- 1880 ............................. 1.608 “ ,
--- 1892 ............................. 1.120 " (ca. 5% d. Bevölk.),
--- 1905 ......................... ca. 1.100 “ ,
--- 1910 ............................. 1.005 “ (ca. 2% d. Bevölk.),
--- 1921 ............................. 354 “ (ca. 1% d. Bevölk.),
--- 1923 ......................... ca. 200 “ ,
--- 1927 ......................... ca. 460 “ ,
--- 1931 ............................. 493 “ ,
--- 1937 ............................. 530 “ ,
--- 1938 (Dez.) .................. ca. 800 “ ,* *andere Angabe: 580 Pers.
--- 1939 (Okt.) .................. ca. 60 “ ,* *andere Angabe: ca. 285 Pers.
--- 1940 ............................. keine.
Angaben aus: Max Aschkewitz, Zur Geschichte der Juden in Westpreußen, S. 19 u. S. 213
und Z.Hubert Nowak, Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Thorn ..., S. 286/287
und Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken. Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, Bd. 3, S.728 f.
Gegen Ende des 19.Jahrhunderts erreichte die jüdische Gemeinde Thorns ihren Zenit - nicht nur, was die Zahl ihrer Angehörigen anging. Knapp die Hälfte aller Handelsfirmen der Stadt war um 1880/1890 in der Hand jüdischer Eigentümer; zumeist handelte es sich um Geschäfte in der Konfektions- und Kurzwarenbranche.
Der Assimilierungsprozess der Thorner Juden an die mehrheitlich christliche Gesellschaft wurde dadurch bestärkt, dass die allermeisten jüdischen Kinder nun christliche Schulen besuchten; am Thorner Gymnasium und am Realgymnasium machten zahlreiche ihr Abitur.
Nach 1880 wanderten jüdische Familien vermehrt nach Berlin bzw. in andere Großstädte ab bzw. emigrierten in die USA. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte sich die Zahl der Gemeindeangehörigen bereits um mehr als ein Drittel reduziert – auch eine Folge der in der Stadt aktiven zionistischen Bewegung, aber auch auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Lage.
Am Altstädter Markt (Postkarte um 1910)
Nach der Angliederung des westpreußischen Gebiets an den polnischen Staat 1920 setzte sich die Abwanderung von Juden noch verstärkt fort. Mehrheitlich fühlte sich die jüdische Bevölkerung weiterhin als Deutsche. Ab Mitte der 1920er Jahre wuchs die Zahl der Gemeindeangehörigen wieder auf etwa 500 Personen an; zumeist waren Juden aus anderen polnischen Gebieten zugewandert; dabei ergaben sich zwangsläufig Konflikte untereinander. Auf ökonomischem Gebiet spielten die jüdischen Bewohner seinerzeit aber keine größere Rolle mehr.
Um 1930 machte sich in Pommerellen - so auch in Thorn - eine antijüdische Stimmung breit, die von polnischen Nationalisten geschürt wurde und vor allem beim Kleinbürgertum auf fruchtbaren Boden fiel. An der Spitze der antisemitischen Propaganda stand die in Thorn erscheinende Zeitung „Slowo Pomorskie” („Pommerellens Wort”), die offen Ausschreitungen unterstützte. In den Straßen wurden Flugblätter mit Slogans wie „Wenn du ein Polen für Polen wünscht, kaufe nicht bei Juden” verteilt. Als Gegenreaktion organisierte sich die jüdische Minderheit in zumeist zionistisch ausgerichteten Vereinen; erst 1939 ebbte diese antisemitische Propagandawelle ab. Der Einmarsch deutscher Truppen Anfang September 1939 beendete die Geschichte der Juden in Thorn; etwa 500 Personen hatten unmittelbar nach dem Einmarsch die Stadt verlassen, nur etwa 60 waren zurückgeblieben; später kehrten etwa 200 wieder zurück. Ende 1939 wollten die Besatzungsbehörden Thorn „judenfrei” machen. Nachdem zunächst eine „freiwillige Abwanderung“ - Juden erhielten sog. „Auswanderungsscheine“ - forciert und von der Gestapo überwacht wurde, wurden die letzten zwangsweise „umgesiedelt“. Sie durften nur Handgepäck mitnehmen; ihr Wohnungsinventar wurde vom „Verwertungsamt sichergestellt“, die Wohnungen selbst an „arische“ Familien übergeben. Zur Jahreswende 1939/1940 wurde die ausgebrannte Synagoge abgerissen.
In einem Transport nach Lodz mussten die letzten Juden die Stadt Thorn 1940 verlassen.
In Thorn existierten gegen Kriegsende mehrere Außenlager des KZ Stutthof, in denen Tausende, meist jüdische Häftlinge zu Zwangsarbeiten herangezogen wurden.
Nach Kriegsende wurde in Torun keine neue jüdische Gemeinde begründet.
Der israelitische Friedhof, der die NS-Zeit relativ unbeschadet überstanden hatte, wurde in den 1970er Jahren durch die kommunalen Behörden dem Erdboden gleichgemacht und in ein Parkgelände umgewandelt. Seit 2009 erinnert auf dem ehemaligen Friedhofsareal ein Denkmal mit den Worten:
Das jüdische Friedhofsgelände.
Ruhestätte des Rabbiners Hirsz Cwi Kaliszer (1795-1874) und der jüdischen Bewohner von Torun.
Gedenkt diesem Ort der ewigen Ruhe.
Ein Jahr später wurden auf dem Gelände Hinweistafeln aufgestellt, die an die Geschichte des Ortes erinnern.
Am ehemaligen Standort der Synagoge erinnert seit 1993 eine Gedenktafel an das ehemalige jüdische Gotteshaus; die in polnischer Sprache angebrachte Inschrift lautet in deutscher Übersetzung:
Hier stand seit 1847 eine Synagoge, die 19339 von den Nazis zerstört wurde.
Wir wünschen, dass dieses Denkmal an unsere jüdischen Bürger – ermordet von Massenmördern – erinnert.
Die Bürger von Torun - 18.10.1993
An seinem ehemaligen Wohnhaus in der Thorner Altstadt erinnert heute eine Tafel an den langjährigen Rabbiner der Stadt. (Aufn. A.M.Arnold, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
In Podgorz (poln. Podgursz), einer kleinen Ortschaft auf dem Thorn gegenüberliegenden Weichselufer, heute ein Stadtteil von Torun – gab es eine kleine israelitische Gemeinde, die kurzzeitig (um 1845) maximal 100 Angehörige besaß. Um 1825 wurde ein Friedhof angelegt. Da die Gemeinde stets mit Thorn enge Verbindungen hatte, kann angenommen werden, dass man die Synagoge in Thorn aufsuchte. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts nahm die Zahl der Gemeindeangehörigen kontinuierlich ab; um 1920 lebten dann hier keine Juden mehr.
In Culmsee (poln. Chelmza, derzeit ca. 14.000 Einw.) - einem Städtchen nördlich Thorns - existierte eine israelitische Gemeinde, deren Anfänge bis ins ausgehende 18.Jahrhundert zurückreichen. In den 1830er Jahren zählte die Gemeinde ca. 120 Angehörige; dies entsprach etwa 8% der hiesigen Bevölkerung. Um 1900 setzte sich die Judenschaft Culmsees aus mehr als 300 Angehörigen zusammen. Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählte neben einem Friedhof, der unmittelbar zu Beginn jüdischer Ansässigkeit angelegt worden war, eine Synagoge, die in den 1880er Jahren erbaut worden war. Das mit orientalischen Stilelementen versehene, recht aufwändig gestaltete Gotteshaus bewies, dass die Angehörigen der hiesigen Gemeinde relativ wohlhabend waren.
Juden in Culmsee:
--- 1812 ........................... 16 Juden,
--- 1831 ........................... 131 “ (ca. 11% d. Bevölk.),
--- 1849 ........................... 265 “ (ca. 14% d. Bevölk.),
--- 1871 ........................... 234 “ ,
--- 1895 ........................ ca. 280 “ ,
--- 1910 ........................ ca. 240 “ ,
--- 1925 ........................ ca. 70 “ ,
--- 1930 ............................ 30 “ .
Angaben siehe: Chelmza, in: sztetl.org.pl
Nach Ende des Ersten Weltkrieges war der jüdische Bevölkerungsanteil in Folge Abwanderung verschwindend gering geworden, sodass sich die Gemeinde offiziell auflöste; die wenigen in der Kleinstadt verbliebenen Familien schlossen sich der Synagogengemeinde Thorn an. Der 1792 angelegte jüdische Friedhof und die Synagoge wurden während der deutschen Okkupation im Zweiten Weltkrieges zerstört. Seit 2008 erinnert eine Gedenkplatte an die einstige jüdische Gemeinde in der Stadt.
vgl. Culmsee (Westpreußen)
In Nessau (poln. Nieszawa) - etwa 25 Kilometer weichselaufwärts Thorns gelegen - gab es eine jüdische Gemeinde, deren Wurzeln bereits gegen Ende des 15.Jahrhunderts zu entdecken sind. Mit Beginn des 19.Jahrhunderts setzte in Nessau eine jüdische Zuwanderung ein; 1834 gehörten der Gemeinde ca. 125 Personen an; die Familien lebten damals in einem ihnen zugewiesenen Wohngebiet. 1849 errichtete die Judenschaft eine aus Backsteinen erbaute Synagoge.
Signet der Gemeinde/Synagoge von Nessau (hist. Aufn.)
Juden in Nessau:
--- 1808 ......................... 68 Juden (ca. 7% d. Bevölk.),
--- 1816 ......................... 126 “ ,
--- 1856 ......................... 283 “ (ca. 18% d. Bevölk.),
--- 1892 ...................... ca. 390 “ ,
--- 1910 ...................... ca. 550 “ (ca. 17% d. Bevölk.),
--- 1921 ...................... ca. 260 “ ,
--- 1923 .......................... 215 “ ,
--- 1935 ...................... ca. 80 “ .
Angaben aus: Nieszawa, in: sztetl.org.pl
Vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges belief sich der jüdische Bevölkerungsanteil auf ca. 13% (ca. 540 Personen); Mitte der 1930er Jahre lebten hier nur noch ca. 80 Einwohner mosaischen Glaubens; zahlreiche Familien waren zwischenzeitlich abgewandert, ein Teil auch nach Nordamerika emigriert, weil die hiesigen ökonomischen Bedingungen – besonders was den Handel anbetraf – sich deutlich verschlechtert hatten. Kurz nach deutscher Besetzung Anfang Sept. 1939 wurde die Synagoge in Brand gesetzt; die Häuser der jüdischen Familien wurden geplündert. Wenige Wochen später erfolgte die Deportation der noch verbliebenen Juden ins Ghetto Kutno.
Vom einstigen jüdischen Friedhof sind keine Überreste mehr vorhanden – außer einem einzigen Grabstein, der im lokalen Museum aufbewahrt wird.
vgl. Nessau (Westpreußen)
In Gollub (Westpreußen) - ca. 20 Kilometer nordöstlich von Thorn, heute mit der Schwesterstadt am gegenüberliegenden Ufer der Drewenz zu Golub-Dobrzyń vereinigt - gab es eine relativ große jüdische Gemeinde, deren Anfänge im 18.Jahrhundert lagen. Eine aus den 1820er Jahren stammende Synagoge wurde um 1855 durch einen Neubau ersetzt. Ein Begräbnisplatz war um 1770 eingerichtet worden. Die jüdische Gemeinde Gollub umfasste auch zahlreiche kleinere Ortschaften der Umgebung.
Juden in Gollub:
--- 1808 .......................... 44 Juden,
--- 1825 .......................... 255 “ ,
--- 1871 ....................... ca. 530 “ ,
--- 1885 ....................... ca. 480 “ ,
--- 1895 ....................... ca. 300 “ ,
--- 1910 ....................... ca. 250 “ ,
--- 1921 ....................... ca. 100 “ ,
--- 1926 ........................... 52 “ ,
--- 1939 ........................... 175 “ ,
--- 1946 ........................... 4 “ .
Angaben siehe: Golup, in: sztetl.org.pl
Während die Mehrzahl der jüdischen Einwohner Dobrzyns orthodox ausgerichtet war und in recht ärmlichen Verhältnissen lebte, setzten sich die Juden in Gollub zumeist aus Kaufleuten zusammen, die „sehr deutsch eingestellt“ waren.
Blick über Gollub (hist. Postkarte)
Zunehmende Abwanderung in deutsche Großstädte Anfang der 1920er Jahre ließ die Zahl der Juden Gollubs deutlich zurückgehen; Zuwanderung polnischer Juden ersetzte den Bevölkerungsverlust. Gewalttätige antisemitische Ausschreitungen sollen 1926 hier stattgefunden haben. Die noch verbliebenen jüdischen Familien wurden 1939/1940 vertrieben und fristeten ihr Dasein elendig in Ghettos; nur wenige sollen überlebt haben. Die Synagoge wurde während des Krieges zerstört.
vgl. Gollub (Westpreußen)
In der Ortschaft Dobrzyń (derzeit ca. 2.000 Einw.) war der jüdische Bevölkerungsanteil im 19.Jahrhundert noch weit höher; so betrug er in den 1880er Jahren ca. 65% (!), um die Jahrhundertwende sogar um 80% ! Erste jüdische Ansiedlung datiert vermutlich in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts; eine Gemeinde bildete sich aber erst um 1765.
Juden in Dobrzyn:
--- 1793/94 ....................... 528 Juden (ca. 50% d. Bevölk.),
--- 1819 ...................... ca. 1.800 “ ,
--- 1861 ...................... ca. 1.600 “ ,
--- 1880 ...................... ca. 2.300 “ ,
--- 1897 ...................... ca. 3.000 “ (ca. 80% d. Bevölk.),
--- 1921 ...................... ca. 2.000 “ (ca. 48% d. Bevölk.),
--- 1935 ...................... ca. 2.500 “ ,
--- 1939 ...................... ca. 2.200 “ .
Angaben aus: Dobrzyn, in: sztetl.org.pl
Während der NS-Besatzungszeit wurde der Holzbau der Synagoge in Brand gesteckt; auch der jüdische Friedhof wurde zerstört.
Als die Weichsel nach 1945 hier aufgestaut wurde, verschwand das Areal des einstigen jüdischen Friedhofs in den Fluten.
In Leipe (poln. Lipno, derzeit ca. 14.500 Einw.) – ca. 40 Kilometer südöstlich von Thorn – sollen in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts die ersten jüdischen Familien ansässig geworden sein. Seit ca. 1735 gab es hier eine jüdische Gemeinde, zu deren Einrichtungen ein Friedhof und mehrere Bethäuser gehörten. Im 19.Jahrhundert ließ die jüdische Gemeinde ein Synagogengebäude (die „Alte Synagoge“) im Stile des Historismus errichten. Die „Neue Synagoge“ wurde zu Beginn des 20.Jahrhunderts erbaut.
Beide Gotteshäuser wurden während des Zweiten Weltkrieges zerstört.
Alte Synagoge in Lipno (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die erste Erwähnung des jüdischen Friedhofs datiert von 1736; im Laufe der Zeit wurde das Areal vergrößert.
Das Begräbnisgelände wurde nach Kriegsausbruch durch die deutschen Okkupanten zerstört, die Grabsteine zweckentfremdet, indem sie zu Gehwegpflasterungen benutzt wurden. Das Friedhofsgelände wurde später überbaut.
Juden in Leipe/Lipno:
--- 1808 ..................... ca. 750 Juden (ca. 80% d. Bevölk.),
--- 1827 ..................... ca. 900 “ ,
--- 1857 ..................... ca. 1.550 “ (ca. 40% d. Bevölk.),
--- 1897 ..................... ca. 2.000 “ (ca. 36% d. Bevölk.),
--- 1910 ..................... ca. 3.000 “
--- 1921 ..................... ca. 2.400 “ (ca. 29% d. Bevölk.),
..................... ca. 4.800 " ,* * im Distrikt Lipno
--- 1940 ........................ keine.
Angaben aus: jewishvirtuallibrary.org/lipno
Im Ort soll es seit 1824 ein „Judenviertel“ gegeben haben.
Vor Beginn des Ersten Weltkrieges machten die jüdischen Familien etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Zu dieser Zeit spielten diese eine bedeutende Rolle im wirtschaftlichen Leben der Ortschaft; so betrieben sie u.a. zahlreiche Manufakturen.
Der während der Zwischenkriegszeit verstärkt auftretende Antisemitismus führte auch zur Abwanderung jüdischer Familien aus der Kleinstadt; doch lebten gegen Ende der 1930er Jahre immerhin noch fast 3.000 Juden hier. Die endgültige Vernichtung der jüdischen Gemeinde erfolgte dann mit der deutschen Okkupation im September 1939. Deportationen der gesamten jüdischen Bevölkerung und Zerstörung der Synagogen und des Friedhofs folgten fast zeitgleich.
Um die Jahreswende 1939/1940 wurde die Kleinstadt – sie gehörte nun zum Reichsgau Danzig-Westpreußen - für „judenrein“ erklärt.
In Leibitsch (poln. Lubicz) – einem Dorf ca. zehn Kilometer östlich von Thorn/Torun gelegen – hat es vor 1939 eine kleine jüdische Gemeinde gegeben.
Vom jüdischen Friedhof sind heute keine sichtbaren Relikte mehr vorhanden, das Gelände macht den Eindruck eines Schuttabladeplatzes.
Hinweis: Lubicz war einer der Exekutionsplätze, bei denen 1939 im Rahamen der sog ‚Intelligenzaktion‘ polnische Intellektuelle aus der Region in großer Zahl ermordet wurden. Polnische Dorfbewohner wurden von hier vertrieben und zur Zwangsarbeit eingesetzt; die freigewordenen Hofstellen wurden an deutsche Kolonisten übertragen.
Weitere Informationen:
Max Aschkewitz, Der Anteil der Juden am wirtschaftlichen Leben Westpreußens um die Mitte des 19.Jahrhunderts, in: "Zeitschrift für Ostforschung", No.11/1962, S. 482 ff.
Max Aschkewitz, Zur Geschichte der Juden in Westpreußen, in: "Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas", hrg. vom Johann Gottfried Herder-Institut No. 81, Marburg 1967
Hans-Werner Rautenberg, Zur Geschichte des Judentums in Pommern und Westpreußen zwischen Emanzipation und Erstem Weltkrieg, in: G. Rhode (Hrg.), Juden in Ostmitteleuropa – Von der Emanzipation bis zum 1.Weltkrieg, in: "Historische u. Landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien 3", Marburg 1989, S. 70
Zenon Hubert Nowak, Zwischen Assimilation und Identität. Geschichte der jüdischen Gemeinde in Thorn vom Ende des 18.Jahrhunderts bis 1939, in: "Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte", Band 2/1994, S. 285 - 298
Wajda Kazimierz, Kooperation - Koexistenz - Konfrontation. Deutsche und Polen in Thorn 1871 - 1914, in: "Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte", Band 2/1994
Hermann Kuhn (Hrg.), Stutthof - Ein Konzentrationslager vor den Toren Danzigs, Editon Temmen, Bremen 2004, S. 124 f.
Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken. Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, New York 2009, Teilband 3, S. 728 – 7745 (Thorn), S. 721 – 725 (Culmsee), S. 726/727 (Podgorz)
Yehudah Rosenwax, Dobrzyn and Golub on the Drweca River – Yechiel Lichtenstein, Dobrzyn – My town, in: jewishgen.org
Angaben über die angeführten jüdischen Gemeinden in: sztetl.org.pl
Meir Livneh/Ada Holtzmann (Bearb.), We remember Jewish Lipno, online abrufbar unter: zchor.org/lipno/lipno.htm