Tarnowitz (Oberschlesien)
Tarnowitz - nördlich von Beuthen bzw. Kattowitz gelegen - ist das poln. Tarnowskie Góry, das derzeit ca. 61.000 Einwohner besitzt (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Tarnowskie Góry rot markiert, aus: pl.wikivoyage.org).
Tarnowitz im 18.Jahrhundert (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Tarnowitz war seit der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts Wohnsitz einzelner jüdischer Familien, denen hier seitens der preußischen Herrschaft eine dauerhafte Ansässigkeit gewährt worden war. Aber erst um 1815 – in diesem Jahre bildete sich eine Gemeindschaft heraus - kann von einer nennenswerten Zahl jüdischer Einwohner gesprochen werden; um 1880 erreichte die Zahl der Juden in Tarnowitz ihren Zenit mit immerhin mehr als 600 Personen.
An Stelle eines Bethauses wurde Mitte der 1860er Jahre für die Gemeinde, die erst seit 1854 autonom war, eine neue Synagoge errichtet. Zu den rituellen Einrichtungen zählte auch eine Mikwe, die 1899 erbaut worden war.
Synagoge in Tarnowitz (hist. Postkarte, 1939 und Innenraum, um 1905 (aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)
Anfang der 1820er Jahre wurde eine jüdische Begräbnisstätte für verstorbene Juden aus der Stadt und Umland angelegt; etwa ein halbes Jahrhundert später ließ die Gemeinde eine Trauerhalle errichten.
Trauerhalle (Aufn. aus: findagrave.com/)
Juden in Tarnowitz:
--- 1815 .......................... 24 Juden,
--- 1823 .......................... 81 “ ,
--- 1834 .......................... 185 “ ,
--- 1849 .......................... 301 “ (ca. 6% d. Bevölk.),
--- 1861 .......................... 415 “ ,
--- 1885 .......................... 627 “ (ca. 7% d. Bevölk.),
--- 1900 .......................... 418 “ ,
--- 1905 .......................... 375 " ,
--- 1925 .......................... 193 “ (0,5% d. Bevölk.),
--- 1933 ...................... ca. 300 “ ,
--- 1936 .......................... 316 “ ,
--- 1939 .......................... 113 “ .
Angaben aus: Tarnowskie Góry, in: sztetl.org.pl
Stadtmitte von Tarnowitz (hist. Postkarte, um 1920 ?)
Im ausgehenden 19.Jahrhundert setzte eine Abwanderung jüdischer Familien in Richtung Westen ein. Mit der Zugehörigkeit zum polnischen Staat verließ Anfang der 1920er Jahre ein weiterer Teil der jüdischen Minderheit ihren Wohnsitz, um sich auf deutschem Staatsgebiet niederzulassen. Im Gefolge der NSDAP-Machtübernahme setzte aber wieder Zuwanderung ein. Zionistische Aktivisten gründeten damals hier eine Ausbildungsstätte für auswanderungswillige Juden.
Nach dem Einmarsch deutscher Truppen wurde die Synagoge zerstört, vier Jahre später die Ruine niedergelegt. Die verbliebene jüdische Bevölkerung wurde im Winter 1940 "ins Generalgouvernement umgesiedelt“.
Nach 1945 wurde ein Teil des jüdischen Friedhofs als evangelischer Friedhof verwendet. Bis zum heutigen Tag blieben auf dem ca. 5.000 m² großen Gelände aber noch ca. 440 Grabsteine und -relikte und die Friedhofshalle erhalten. Das in der Vergangenheit zunehmend von der Vegetation überwucherte Areal erfuhr in den letzten Jahren zwar gärtnerische Eingriffe, doch befinden sich allerdings derzeit zahlreiche Grabstätten in einem bedauernswerten Zustand (2021).
Teilansichten des jüdischen Friedhofs (Aufn. M. Bulsa, 2020, aus: pl.wikipedia.org, CCO und Aufn. G. Wilk, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
2006 wurde am ehemaligen Standort der Synagoge eine Stele errichtet, die an die zerstörte Synagoge und die einst hier beheimatete jüdische Gemeinde erinnert.
Gedenkstele für die ehem. Synagoge (Aufn. Pawel Michali, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Weitere Informationen:
Harold Hammer-Schenk, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. u. 20.Jahrhundert, Hans Christians Verlag, Hamburg 1981
A. Konieczny, Die Zwangsarbeit der Juden in Schlesien im Rahmen der "Organisation Schmelt", in: G.Aly (Hrg.), Sozialpolitik und Judenvernichtung, Hamburg 1991
Peter Maser/Adelheid Weiser, Juden in Oberschlesien, Teil I: Historischer Überblick, in: "Schriften der Stiftung Haus Oberschlesien, Landeskundliche Reihe 3.1", Gebr. Mann Verlag, Berlin 1992, S. 107 - 121
Adelheid Weiser, Juden in Oberschlesien, in: "Zur Geschichte der deutschen Juden. Ostdeutschland - Böhmen - Bukowina. Kulturpolitische Korrespondenz", 61/1993, S. 17 - 23
Fr.-Carl Schultze-Rhonhof, Geschichte der Juden in Schlesien im 19. u. 20.Jahrhundert, in: "Schlesische Kulturpflege - Schriftenreihe der Stiftung Schlesien", Band 5, Hannover 1995
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), New York University Press, Washington Square, New York 2001
Tarnowskie Góry, in: sztetl.org.pl
Marcin Wiśniewski (Red.), Tarnowski Góry, in: kirkuty.xip.pl
Beata Pomykalska/Pawel Pomykalski, Auf den Spuren der Juden Oberschlesiens, Hrg. Haus der Erinnerung an die Juden Oberschlesiens – Zweigstelle des Museums in Gleiwitz, Gliwice 2019