Ungarisch Brod (Mähren)
Die an der Grenze zur Slowakei liegende Stadt Ungarisch-Brod ist das tschechische Uherský Brod (Kreis Zlin) mit derzeit ca. 16.500 Einwohnern (Kartenskizzen 'Tschechien' mit Uherský Brod rot markiert, aus: commons.wikimedia.org, CCO und aus: pragerzeitung.cz/bei-katholiken-und-bata-juengern).
Im Zuge des wachsenden Handelsverkehrs des Grenzortes siedelten sich vermutlich bereits Ende des 13.Jahrhunderts Juden hier an, denen von der städtischen Obrigkeit persönliche Freiheiten und das Recht auf Selbstverwaltung zugestanden wurden und die nur geringe Schutzgeldzahlungen leisten mussten. 1470 datiert die älteste städtische Urkunde, in der ein Jude namentlich genannt werden. Aus der Zeit um 1590 stammen die von den Regionalherren, der Adelsfamilie von Kunowitz ausgestellten Privilegien, wonach es vier jüdischen Familien erlaubt war, sich in der Stadt niederzulassen. Ihre Behausungen befanden sich unmittelbar hinter den Festungsmauern der Stadt.
Bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges schienen die jüdischen Bewohner kaum Repressionen ausgesetzt gewesen zu sein; dies änderte sich in den 1620er Jahren, als Soldateska in die Stadt eindrang, jüdische Häuser als Unterkünfte requirierte und deren Bewohner zu hohen Kontributionen zwang. Schließlich wurden sowohl Behausungen als auch die Synagoge von den Söldnern zerstört. Die obdachlos geworden jüdischen Familien fanden in der Tuchwebergasse, der künftigen „Judengasse“, Zuflucht. Als gegen Kriegsende schwedische Truppen raubend und brandschatzend die Stadt heimsuchten, war die einst wohlhabende jüdische Gemeinde verarmt; zudem erschwerte eine hohe Steuerlast das Leben in der Nachkriegszeit.
Die Adelsfamilie Kaunitz – in Nachfolge derer von Kunowitz – unterstützten nach dem Krieg eine Ansiedlung jüdischer Familien, um die Bevölkerungsverluste in der Stadt auszugleichen. Als nach 1670 aus Wien ausgewiesene jüdische Familien in Ungarisch-Brod Aufnahme fanden, schmälerten sich die ohnehin schon geringen Verdienstmöglichkeiten noch mehr. Anfang der 1680er Jahre besetzten ungarische Reiterscharen die Stadt Brod und richteten hier ein Massaker an: Die hiesige Bevölkerung wurde ausgeraubt, viele ermordet. In der „Judengasse“ wurden viele Häuser niedergebrannt; die in den Kellern Zuflucht suchenden Bewohner erlitten den Feuertod. Unter den Getöteten war auch der Rabbiner Nathan ben Moses Hannover.*
* Nathan ben Moses Hannover (auch Nathan Nata, geb. um 1610 in Krakau) war ein jüdischer Gelehrter und Historiker, der vor den verheerenden Pogromen im Gefolge des Chmelnyzkyj-Aufstandes geflohen war und Chronist dieser Pogrome wurde. 1648 erlebte er, wie sein Dorf sowie hunderte anderer zerstört und dabei die meisten Einwohner ermordet wurden; auch zahlreiche Polen und katholische Geistliche waren unter den schätzungsweise ca. 100.000 Opfern. Obwohl sich der Aufstand gegen die polnische Herrschaft richtete, fanden ausgedehnte Pogrome an Juden statt. Das Buch von Nathan ben Moses Hannover schildert das von ihm erlebte Pogrom, (“Jawen Mezulah / Yeven Mezulah“) - erschienen 1653 erstmals in Venedig – und außerdem gibt es anschaulich einen Einblick in das damalige jüdische Leben in Osteuropa.
Ein Teil der überlebenden Juden verließ daraufhin die stark zerstörte Stadt. Zudem grassierte zu dieser Zeit eine Epidemie, die hunderte Opfer forderte. Trotz der erheblichen Dezimierung der jüdischen Bewohner Brods erholte sich die Gemeinde bald von den Verfolgungen; nun unter dem Schutz der Fürsten Kaunitz stehend, die hohe Abgaben und Steuern einforderten, wurden in der „Judengasse“ neue Häuser gebaut, auch eine neue Synagoge dort errichtet.
Mit dem Inkrafttreten des sog. Familiantengesetzes von Kaiser Karl VI. (1726) war eine Art Umsiedlungsprozess in Gang gesetzt worden, wonach den jüdischen Bewohnern ein eigenes Wohngebiet zugewiesen werden sollte - mit der Auflage, dass es weit entfernt von christlichen Gotteshäusern und Pilgerstätten lag. Diese Entwicklung einer Separierung Christen-Juden war in Ungarisch-Bord um 1780/1790 abgeschlossen; damals musste die neue entstandene "Judenstadt" auch durch eine Mauer von den christlichen Wohngebieten abgeschottet werden.
Teilansicht des ehem. Ghettos (Muzeum Uherský Brod)
In der Folgezeit entwickelte sich die Broder Gemeinde zu einem religiösen Zentrum für zahlreiche andere Gemeinden. Um 1715/1720 wurde ein neuer Synagogenbau eingeweiht, der bis 1941 in Nutzung war.
Ehem. Synagogengebäude (Aufn. um 1940, Muzeum Uherský Brod)
Die im 19.Jahrhundert in Ungarisch Brod amtierenden Rabbiner, wie Hermann Roth, Moses David Hoffmann u. Moritz Jung, engagierten sich auch für die Einrichtung deutsch-sprachiger jüdischer Schulen. Einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg wurde eine Jeschiwa ins Leben gerufen. Letzter Rabbiner der Gemeinde war Kalman Nuernberger (von 1913 bis 1939).
Seit den 1870er Jahren gab es in Brod zeitweilig zwei miteinander konkurrierende Gemeinden: eine reform-orientierte und eine strengreligiös-orthodox ausgerichtete. Im Laufe der Jahrzehnte konnte die konservative Gemeinde Terrain zurückgewinnen.
Als das jahrhundertelang genutzte Beerdigungsgelände vor den Stadtmauern belegt war, wurde um 1870 ein neuer Friedhof angelegt; vom alten Friedhof wurden wertvolle alte Grabmäler hierher transferiert.
Juden in Ungarisch Brod:
--- um 1470 .......................... 16 jüdische Familien,
--- 1558 ............................. 4 " " ,
--- 1595 ............................. 5 " " ,
--- 1615 ............................. 18 " " ,
--- 1683 ............................. 438 Juden,
--- um 1745 ...................... ca. 940 “ (ca. 160 Familien),
--- 1843 ............................. 827 “ (ca. 34% d. Bevölk.),
--- 1857 ............................. 1.068 “ (ca. 26% d. Bevölk.)
--- 1880 ............................. 873 " ,* * davon 560 Pers. in der jüd. pol. Gemeinde,
--- 1900 ............................. 825 “ ,* * davon 477 Pers. in der jüd. pol. Gemeinde,
--- 1910 ............................. 718 “ ,* * davon 430 Pers. in der jüd. pol. Gemeinde
--- 1930 ............................. 493 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1939 (März) ...................... 489 “ ,
--- 1943 (März) ...................... keine.
Angaben aus: Hugo Gold (Hrg.), Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, S. 115
und Institut Terezínské iniciativy
und The Jewish Community of Uhersky Brod (Ungarisch Brod), Hrg. Beit Hatfutsot
Ansicht von Ungarisch-Brod (Abb. aus: austria-forum.org)
In den 1930er Jahren konnte sich die jüdische Gemeinde - was die Zahl ihrer Angehörigen anging - behaupten. Die deutsche Besetzung führte dann auch hier zu einem gewaltsamen Ende. Nach der Verhaftung des Oberhauptes der Gemeinde, Felix Brunn, und sieben Vorstandsmitgliedern wurden diese 1941 wegen angeblicher Untergrundaktivitäten gegen die deutsche Besatzungsmacht hingerichtet. Im gleichen Jahre wurde die Synagoge teilzerstört, später abgerissen.
antijüdische Slogans in Ungarisch Brod
Nachdem im Laufe des Jahres 1942 die Juden aus der Region in Ungarisch Brod konzentriert worden waren, begannen Ende Januar 1943 die Deportationen; in drei großen Transporten führte ihr Weg via Theresienstadt für die meisten in die Vernichtungslager.
Deportation von Juden bei Ungarisch-Brod (Aufn. Jan. 1943)
Nach Kriegsende kehrten etwa 30 Juden in die Stadt zurück; unterstützt vom amerikanischen Joint wurde Uherský Brod zu einer Art Regionalzentrum für kleinere Nachbarorte, in denen sich auch jüdische Personen aufhielten. Nach der Staatsgründung Israels verließen die allermeisten der hier lebenden Juden die Region, auch veranlasst durch zunehmenden Antisemitismus.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das ehemalige Judenviertel abgerissen und auf der freigewordenen Fläche eine Neubausiedlung errichtet; nur wenige ursprüngliche Bauten blieben erhalten.
Das Gelände des ehemaligen alten jüdischen Friedhofs weist kaum noch Spuren seiner ursprünglichen Verwendung auf.
Aufn. Fet'our, 2012, aus: wikipedia.org, CCO
Auf dem neuen Friedhof in Uherský Brod wird bis heute bestattet; auf dem Areal findet man etwa 80 barocke und klassizistische Grabsteine, die vom alten Friedhof - dieser wurde während der deutschen Okkupation verwüstet - hierher gebracht wurden.
Trauerhalle (Aufn. um 1940, Muzeum Uherský Brod) - neuere Grabsteine (Aufn. Fet'our, 2011, aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Zu den bekanntesten Rabbinern, die in Ung.-Brod tätig waren und weit über die Region hinaus wirkten, zählte Moritz (Meir) Jung (geb. 1859 in Tisza Eszlar/Ungarn). Im Jahre 1891 gründete er hier ein jüdisches Gymnasium, die erste Schule dieser Art. Nach vorübergehender Schließung, die der oppositionelle Gemeindevorstand erzwungen hatte, wurde diese wieder eröffnet; Hunderte Schüler aus Mähren, Galizien und Ungarn besuchten fortan diese Einrichtung. Auch in anderen Städten führte Moritz Jung sein Schulwerk fort. Als Befürworter des althergebrachten Judentums gründete Jung die „Agudath Charedim“, eine politische Vereinigung orthodoxer Juden in Galizien; damit wollte er den Einfluss der Orthodoxie gegen die zunehmende Liberalisierung stärken. Nach mehr als 20jähriger Tätigkeit in Ung.-Brod folgte Jung einem Rufe aus London, wo er bis zu seinem Tode (1921) als Oberrabbiner wirkte.
In Brumow (tsch. Broumov-Bylnice, derzeit ca. 5.500 Einw.) lebte seit Mitte des 18.Jahrhunderts eine kleine jüdische Gemeinschaft, die aber zu keiner Zeit mehr als 60 Angehörige besaß. Um 1900 löste sich die Gemeinde auf; 1930 wohnten hier noch fünf Juden. Der aus den Anfängen der Gemeinde stammende Friedhof hat die Jahrhunderte überdauert.
Friedhof in Brumov (Aufn. A., 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Weitere Informationen:
Adolf Frankl-Grün, Geschichte der Juden in Ungarisch-Brod nebst Biographien von ..., Wien 1905
Kalman Nürnberger (Bearb.), Geschichte der Juden in Ung. Brod, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Buch- und Kunstverlag, Brünn 1929, S. 549 - 559
Kalman Nürnberger (Bearb.), Geschichte der Juden in Ung.-Brod, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Verlag, Brünn 1929, S. 549 - 561
Bertold Bretholz, Die Judengemeinde von Ungarisch-Brod u. ihr Streit mit dem Grundherrn Grafen Wilhelm von Kaunitz, in: "Jahrbuch der Gesellschaft für Geschichte der Juden in der Tschechoslowakischen Republik", No.4 (1932), S. 107 - 181
Hugo Gold (Hrg.), Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, Tel Aviv 1974, S. 113 – 116
Jiri Fiedler, Jewish sights of Bohemia and Moravia, Prag 1991, S. 189/190
Gerhard Hanak (Bearb.), Juden in Mähren - Judengemeinden in Südmähren, o.O. 2002
The Jewish Community of Uhersky Brod (Ungarisch Brod), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish people, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/uhersky-brod
Jitka Mládkoá (Red.), Die Anfänge jüdischer Besiedlung in
Kateřina Čapková /Hillel J. Kieval (Hrg.), Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 140, München 2020, u.a. S. 405