Waibstadt (Baden-Württemberg)

Datei:Waibstadt in HD.svg Datei:Karte Kleiner Odenwald.svgWaibstadt ist eine Kleinstadt mit derzeit etwa 5.700 Einwohnern im Rhein-Neckar-Kreis – im nördlichen Kraichgau zwischen Heidelberg und Heilbronn unweit nördlich von Sinsheim gelegen (Kartenskizzen 'Rhein-Neckar-Kreis', Hagar 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und 'Kleiner Odenwald', k. 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Ein erster Beleg über die Existenz von Juden in Waibstadt geht ins Jahr 1337 zurück. Während der Pestpogrome 1348/1349 wurden die in Waibstadt lebenden jüdischen Familien vertrieben und damit die mittelalterliche Judengemeinde zerstört. Erst etwa 300 Jahre später siedelten sich erneut Juden im zum Fürstbistum Speyer gehörenden Waibstadt an.

Waibstadt mit Umgebung 1727 detail.jpg

Waibstadt um 1730 – Ausschnitt aus einer Bildkarte (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Eine neuzeitliche jüdische Gemeinde entstand im 17. Jahrhundert; ab etwa 1650 hielten die wenigen Familien Gottesdienste am Ort ab.

Nach Entzug der Gottesdiensterlaubnis und vorübergehender Ausweisung der Juden aus Waibstadt 1671 zogen zwei jüdische Familien um 1700 wieder nach Waibstadt. Die Gemeinde war stets nur sehr klein; so verfügten die Waibstädter Juden auch nur über eine sehr bescheidene Synagoge in der Schlossstraße, die zwischen 1845 und 1847 erbaut wurde. Letztmalig wurde diese 1925 gottesdienstlich genutzt.

Ob es in Waibstadt zeitweise einen eigenen jüdischen Lehrer/Vorbeter gegeben hat, ist nicht bekannt; ansonsten erfolgte die Besorgung religiös-ritueller Dinge durch auswärtige Lehrer - so aus Neckarbischofsheim.

 Teilansicht des jüdischen Friedhofs (Aufn. Nicor 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)         

Ältestes Zeugnis jüdischen Lebens in der Waibstädter Gemarkung ist der jüdische Friedhof im Mühlbergwald, der Mitte des 17.Jahrhunderts angelegt und als Verbandsfriedhof von zahlreichen kurpfälzischen und reichsritterlichen Orten der Region genutzt wurde. Mitte des 19.Jahrhunderts gehörten dem Verband etwa 30 Gemeinden an. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg begruben noch die jüdischen Gemeinden Bonfeld, Grombach, Hoffenheim, Hüffenhardt, Neidenstein, Neckarbischofsheim, Steinsfurt, Obergimpern, Waibstadt und Wollenberg ihre Toten auf dem Waiblinger Friedhof. Der älteste registrierte Grabstein stammt aus dem Jahre 1690; die letzte Beisetzung fand hier 1940 statt.

Die Gemeinde Waibstadt gehörte seit 1827 dem Rabbinatsbezirk Sinsheim an.

Juden in Waibstadt:

         --- um 1648 ........................  3 jüdische Familien,

    --- 1700 ...........................  2     “       “    ,

    --- um 1740 ........................  3     “       “    ,

    --- 1825 ...........................  42 Juden,

    --- 1834 ...........................  44   “  ,

    --- 1843 ...........................  11 jüdische Familien,

    --- 1859 ...........................   9     “       “    ,

    --- 1875 ...........................  42 Juden,

    --- 1884 ...........................  67   “  ,

    --- 1900 ...........................  47   “  ,

    --- 1925 ...........................  25   “  ,

    --- 1933 ...........................  11   “  ,

    --- 1939 ...........................   5   “  ,

    --- 1940 (Nov.) ....................   keine.

Angaben aus: W.Vögele/U.Marowski, Zeittafel zur Geschichte der Waibstadter Judengemeinde

 

Aus dem Jahre 1847 sind nächtliche Ausschreitungen gegen die jüdischen Bewohner Waibstadts belegt.

Um 1880/1890 erreichte die Zahl der Waibstädter Juden mit etwa 70 Personen ihren Höchststand.

eine Kleinanzeige  https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20187/Waibstadt%20Israelit%2015021894.jpg aus: "Der Israelit" vom 15.2.1894

   Postkarte Carte Postale 40063299 Waibstadt Waibstadt von 1924 Hauptstrasse  Waibstadt: Manuskript / Papierantiquität | Versandhandel BoegerHauptstraße in Waibstadt, Postkarte um 1920 (aus: zvab. com)

Zu Beginn der NS-Zeit lebten am Ort nur noch sehr wenige jüdische Bürger; 1937 wurde die Gemeinde aufgelöst, die letzten Gemeindeangehörigen der Neckarbischofsheimer Gemeinde zugewiesen. 1938 wurde das schon mehr als zehn Jahre nicht mehr genutzte Synagogengebäude an einen Privatmann verkauft, der es von da an als Tabakschuppen nutzte; aus diesem Grunde wurde das Gebäude während des Novemberpogroms von 1938 auch nicht zerstört. Dagegen war das weitläufige Friedhofsgelände Ziel von gewalttätigen Anschlägen. Am 22.Oktober 1940 wurden die letzten fünf jüdischen Bewohner Waibstadts nach Gurs/Südfrankreich deportiert; mindestens drei von ihnen fielen der Shoa zum Opfer.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden neun aus Waibstadt stammende bzw. hier längere Zeit ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/waibstadt_synagoge.htm).

 

Unmittelbar nach Kriegsende mussten ehemalige NSDAP-Angehörige und SA/SS-Leute den jüdischen Friedhof wieder instandsetzen. Die mehr als 2.500 Grabsteine auf dem Friedhof im Mühlbergwald erinnern an die frühere jüdische Geschichte der Region; Anfang der 1990er Jahre ließ die Stadt Waibstadt die Grabsteine aufwändig restaurieren.

Waibstadt-j-002.jpgTeilansicht des Friedhofs (Aufn. P Schmelzle, 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Grabsteine mit reicher Ornamentik (Aufn. Roman Eisele, 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Am Rande des Friedhofsgeländes steht das 1927 errichtete Weil-Mausoleum; nach dem Tod von Dr. Weil und seiner Frau wurden hier ihre sterblichen Überreste in einer Urne beigesetzt.

  

Mausoleum der Familie Weil (Aufn. Peter Schmelzle, 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und Stefan Weigelt, 2013)

[vgl. Steinsfurt (Baden-Württemberg)]

1977 wurde das baufällige Synagogengebäude abgetragen; es hatte dem privaten Eigentümer jahrzehntelang als Tabakschuppen bzw. Lagerraum gedient.

 https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20408/Neckarzimmern%20Waibstadt%20IMG_9018.JPG Gedenkstein in Waibstadt Seit 2010 erinnert ein Mahnmal auf dem Marktplatz – entworfen von Schüler/innen der Realschule Waibstadt im Rahmen eines ökumenischen Jugendprojekts - an die Deportation der Waibstädter Juden nach Gurs/Südfrankreich. Ein identisches „Objekt“ befindet sich auf der zentralen Gedenkstätte zur Erinnerung an die deportierten badischen Juden in Neckarzimmern (Abb. aus: alemannia-judaica.de und aus: mahnmal-neckarzimmern.de).

Gemeinsam mit drei Gymnasien aus der Region erstellte die Realschule in Waibstadt einen Kalender für das Jahr 2008, in dem zahlreiche historische Bilder die jüdische Geschichte des Umlandes dokumentieren.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20130/Kraichgau%20Kal01.jpg

Auf Initiative des Vereins „Jüdisches Kulturerbe“ wurden 2012 vor den Wohnsitzen ehemaliger jüdischer Bewohner sog. „Stolpersteine“ verlegt.

 für Fam. Glück (Aufn. Verein „Jüdisches Kulturerbe im Kraichgau e.V.“, 2012)  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20325/Waibstadt%20Stolpersteine%20122.jpg

 

 

 

Weitere Informationen:

Israelitischer Verbands-Friedhof Waibstadt (Hrg.), Gräberverzeichnis Israelitischer Verbandsfriedhof Waibstadt, Rappenau 1914

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Band 19, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 280/281

Heinz Teichert, Zur Geschichte des jüdischen Friedhofs im Mühlbergwald, in: "Im Kraichgau", No. 7/1981

H.-P. Ebert, Weil-Denkmal in Waibstadt, in: "Schwarzbachtal-Bote", No. 4/1982

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 489/490

W.Vögele/R.Fuhrmann/U.Marowski/u.a., Juden in Waibstadt, in: 1200 Jahre Waibstadt. Beiträge zur Geschichte der ehemaligen freien Reichsstadt Waibstadt 1995, S. 256 - 301

W.Vögele/U.Marowski, Zeittafel zur Geschichte der Waibstadter Judengemeinde, in: www.hd.bw.schule.de

M.Brocke/Chr. E. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam-Verlag, Leipzig 2001, S. 121/122

Hans Appenzeller, Die jüdische Gemeinde Steinsfurt: Geschichte der Familie Weil, überarb. Auflage 2002 (Erstaufl. Sinsheim 1989)   Anm.: u.a. mit Berichten über das Mausoleum der Familie Weil

Peter Beisel, Jüdische Spuren in unserer Heimat. Mit besonderer Berücksichtigung der Situation in Waibstadt, in: "Kraichgau. Beiträge zur Landschafts- und Heimatforschung", Folge 17/2002, S. 99

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 491/492

Waibstadt, in: alemannia-judaica.de

Geschichte der Familie Glück aus Waibstadt. Eine Spurensuche

bju (Red.), In Waibstadt sollen Stolpersteine verlegt werden, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 31.3.2011

bju (Red.), Sie waren im Dorf vollständig integriert, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 20.4.2012

Jüdisches Kulturerbe Waibstadt e.V. (Hrg.), Stolpersteine in Waibstadt, online abrufbar unter: juedisches-kulturerbe-kraichgau.de/stolpersteine-in-waibstadt/