Weyer (Hessen)
Weyer ist heute ein Ortsteil der Kommune Villmar/Lahn im hessischen Kreis Limburg-Weilburg - ca. zehn Kilometer östlich von Limburg/Lahn gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Limburg-Weilburg', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die Wurzeln der kleinen jüdischen Gemeinde in Weyer liegen vermutlich Anfang des 18.Jahrhunderts; eine hier ansässige jüdische Familie wird erstmals 1747 erwähnt. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre lebten stets nur wenige Familien in Weyer: Neben dem Viehhandel verdienten die Weyerer Juden ihren Lebensunterhalt im Handel mit Dingen des alltäglichen Bedarfs.
Gottesdienstliche Treffen fanden zunächst in einem Privathaus einer Familie statt; die Planungen eines Synagogenbaus in den 1830er Jahren konnten nicht realisiert werden, sodass man sich mit einem Aus- bzw. Umbau der schon seit langem genutzten Räumlichkeiten im Hause der Familie von Elias Moses begnügte. Der Betraum in der Untergasse besaß knapp 40 Männer- und ca. 25 Frauenplätze.
Skizze der Synagoge (nach Altaras)
Am Ort stand auch ein eigenes, etwa 1.100 m² großes Friedhofsgelände zur Verfügung; vermutlich war der „Judenkirchhof“ bereits im 18.Jahrhundert angelegt worden: Auf dem Areal fanden auch verstorbene Juden aus Oberbrechen, Wolfenhausen und Münster ihre letzte Ruhe. Heute befinden man auf dem Friedhof in Weyer noch 58 Grabsteine; der älteste datiert 1841.
Jüdischer Friedhof in Weyer (Aufn. J. Hahn, 2009, aus: alemannia-judaica.de)
Die wenigen Juden in Oberbrechen und Wolfenhausen waren der Weyerer Gemeinde angeschlossen. Seit 1903 gehörten die Familien der bis dato autonomen jüdischen Gemeinde Münster zur Gemeinde Weyer. Die jüdische Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Weilburg bzw. nach dessen Auflösung zum Rabbinat Ems-Weilburg.
Juden in Weyer:
--- 1829 .......................... 8 jüdische Familien,
--- 1841/43 ....................... 14 “ “ ,
--- 1871 .......................... 33 Juden,
--- 1885 .......................... 18 “ ,
--- 1905 .......................... 24 “ ,
--- 1912 .......................... 13 jüdische Familien,* *incl. Oberbrechen
--- 1930 .......................... 12 “ “ ,*
--- 1940 .......................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 381/382
Spätestens seit Mitte des 19.Jahrhunderts waren die in Weyer ansässigen jüdischen Familien in das dörfliche Leben weitestgehend integriert; dieses spannungsfreie Miteinander endete mit Beginn der 1930er Jahre. Das Synagogengebäude ging 1938 in privaten Besitz über; trotzdem wurde es im Inneren von Nationalsozialisten verwüstet. Seit 1944 diente das Gebäude als Schmiede.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind neun aus Weyer stammende Juden der "Endlösung" zum Opfer gefallen; aus Oberbrechen waren es nachweislich acht und aus Wolfenhausen sieben Personen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/weyer_synagoge.htm).
Ehem. Synagogengebäude (Aufn. um 1980, aus: Th. Altaras)
Seit 1990 erinnert eine Gedenktafel an die ehemalige Synagoge; sie ist an dem Haus in der Untergasse angebracht, in dem seit 1833 gottesdienstliche Zusammenkünfte stattfanden.
In den 1990er Jahren tauchten in Weyer mehr als 20 „Wimpel“ aus dem 18.Jahrhundert auf; diese waren in einer Genisa unter einer Treppe im einstigen Synagogengebäude verwahrt worden.
Thora-Wimpel aus der Genisa
Am Eingangstor zum jüdischen Friedhof ist auf Initiative des Förderverein Heimatmuseum jüngst eine Tafel angebracht worden, die unter der Überschrift „Gegen das Vergessen“ über die einstige jüdische Gemeinde von Weyer informiert.
Jüngst wurden in Weyer an zwei Standorten die ersten sog. "Stolpersteine" verlegt (Stand 2020); so erinnern in der Brühlstraße vier Steinquader an Angehörige der Familie Schönberg/Blumenthal und in der Laubusstraße an die der Familien Saalberg/Heymann/Simon.
verlegt für Fam. Schönberg (Aufn. Jürgen Weil, Marktflecken Villmar, 2020)
Hinweis: Im nassauischen Weyer (im heutigen Rhein-Lahn-Kreis) gab es auch eine kleine jüdische Gemeinde, der stets nur wenige Familien angehörten. Anfang der 1930er Jahre zählte die Gemeinde - ihr waren auch die Familien aus Nochern und Lierschied angeschlossen - etwa 25 Angehörige; sie unterstand dem Rabbinatsbezirk Bad Ems. Während der Betraum sich in Weyer befand, lag der Friedhof in der Gemarkung Nochern. Im November 1938 wurde die Betstube, die sich im Hause einer jüdischen Familie befand, demoliert.
vgl. dazu: St. Goar (Rheinland-Pfalz)
Um 1900 lebten in Oberbrechen – unweit von Limburg gelegen – etwa 30 jüdische Bewohner, drei Jahrzehnte später nur noch 18. Sie waren der Kultusgemeinde Weyher angeschlossen. Mit Beginn der NS-Herrschaft und der einsetzenden Entrechtung verließen weitere jüdische Bürger den Ort und gingen in die Emigration (USA). 1940 sind noch vier Juden in Oberbrechen gemeldet, die zunächst nach Frankfurt/M. „umgesiedelt“ und von dort deportiert und ermordet wurden.
In der Langen Straße erinnern seit 2015 sieben sog. „Stolpersteine“ an Angehörige der Familie Stern.
alle Aufn. G., 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
Jüngst wurde – in Ergänzung zu den bisher verlegten "Stolpersteinen" - an der ‚Alten Schule‘ in Oberbrechen eine Gedenktafel angebracht, die der ehemaligen 22 jüdischen Ortsbewohner gedenkt; die Tafel trägt die Inschrift: .Zur ERINNERUNG und im GEDENKEN an die jüdischen Frauen, Männer und Kinder, die 1933 in Oberbrechen lebten und von den Nationalsozialisten verfolgt, vertrieben, deportiert und ermordet wurden"
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 381 - 383
Eugen Caspary, Jüdische Mitbürger in Oberbrechen 1711- 941. Eine Bestandsaufnahme, in: Gensicke/Eichhorn, Geschichte von Oberbrechen, hrg. im Auftrag der Gemeinde Brechen, 1975, S. 157 - 231
Eugen Caspary, Jüdische Bürger in Oberbrechen während der Weimarer Republik und in der nationalsozialistischen Diktatur, in: Alfred Höck (Hrg.), "Judaica Hassiaca", Band 9, Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung, Neue Folge, Gießen 1979, S. 57 – 69
Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945?, Königstein i.Ts. 1988, S. 99/100
Jens-Peter Kauer, Sensationelle Wimpel-Funde geben Auskunft über jüdisches Leben, in " ? -Zeitung" vom 6.1.1997
Christa Pullmann/Eugen Caspary (Hrg.), Das Gebinde des Lebens - Das Leben der jüdischen Menschen in Weyer, Münster, Oberbrechen und Wolfenhausen, Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Limburg, 2004
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 387
Thea Altaras, Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945?, Königstein im Taunus 2007, S. 232/233
Weyer mit Oberbrechen, Münster (Gemeinde Selters) und Wolfenhausen, in: alemannia-judaica.de
Der jüdische Friedhof von Weyer, online abrufbar unter: cjz-limburg.de (Anm. mit Gräberliste)
Gemeinde Brechen, Verlegung von Stolpersteinen für jüdische Bürger in Oberbrechen, 2015, online abrufbar unter: gemeinde-brechen.de
Auflistung der Stolpersteine in Oberbrechen, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Brechen
Robin Klöppel (Red.), Jüdischer Friedhof: Tafel gegen das Vergessen, in: „Nassauische Neue Presse“ vom 1.2.2018
Christiane Müller-Lang (Red.), Stolpersteine erinnern in Weyer an die Opfer der NS-Zeit, in: mittelhessen.de vom 23.1.2020
Jürgen Weil - Marktflecken Villmar (Hrg.), Stolpersteine, online abrufbar unter: marktflecken-villmar.de/marktflecken/stolpersteine (2020)
Christiane Müller-Lang (Red.), Villmar stemmt sich gegen das Vergessen: Weitere 16 Stolpersteine finden ihren Platz, in: „Rhein-Lahn-Zeitung“ vom 12.5.2022
Peter Ehrlich (Red.), Gedenktafel an der alten Schule in Oberbrechen – Heimatmuseum zum Gedenken an jüdische Einwohner in Oberbrechen, in: brachinaimagepress.de vom 9.11.2023