Windsbach (Mittelfranken/Bayern)
Windsbach ist eine derzeit ca. 6.000 Bewohner zählende Kleinstadt im Ostteil des mittelfränkischen Landkreises Ansbach – ca. 20 Kilometer östlich von Ansbach bzw. ca. 35 Kilometer südwestlich von Nürnberg gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Ansbach', aus: ortsdienst.de/bayern/landkreis-ansbach).
Der erste urkundliche Hinweis auf den Aufenthalt von Juden in Windsbach stammt bereits aus dem Jahre 1298, als im Gefolge der Rintfleischpogrome jüdische Dorfbewohner gewaltsam ums Leben kamen; in dieser Zeit übten die Markgrafen von Ansbach hier ihre Herrschaft aus. In den folgenden Jahrhunderten werden in den Annalen immer wieder vereinzelt Juden erwähnt, die im Orte gelebt bzw. sich hier vorübergehend aufgehalten haben. Für ihre Sicherheit erwarben sie beim Markgrafen gewisse Schutzrechte, die ihnen für eine bestimmte Zeitspanne gewährt wurden.
Ein Betraum ist für Windsbach in der 'Judengasse' (heute Hintere Gasse) bereits im 14.Jahrhundert nachweisbar.
Eine neuzeitliche Gemeinde, deren Anfänge sich auf Angehörige zweier Großfamilien gründete, entstand in der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts; sie umfasste um 1760 fast 20 Familien, die in äußerst bescheidenen Verhältnissen lebten. Die meisten Familienväter waren als „Handelsmänner“ und Handelsvermittler tätig. Nachdem ein alter Betsaal wegen Baufälligkeit behördlicherseits geschlossen worden war, konnte die Windsbacher Judenschaft im Oktober 1850 vor dem „Oberen Stadttor“ ihre neuerrichtete Synagoge mit Schulräumen einweihen. Eine Jahre zuvor „im Namen seiner Majestät des Königs“ gestattete Kollekte hatte den Bau ermöglicht.
aus: "Intelligenzblatt von Unterfranken und Aschaffenburg des Königreichs Bayern" vom 22. März 1842
Über die Einweihung, die vom Distriktsrabbiner Dr. Feuchtwang vorgenommen wurde, berichtete die „Allgemeine Zeitung des Judentums” am 28.10.1850:
Aus Mittelfranken, im Oktober (Privatmitth.). Die in unserem letzten Berichte erwähnte, geschmackvoll, ohne Überladung ausgestattete Synagoge zu Windsbach wurde am 11. Oktober, als am Vorabend des Namenstags unsers Königs auf eine feierliche Weise eingeweihet. Einen rührenden, für den mit den früheren Lokalverhältnissen Vertrauten doppelt erhebenden Anblick gewährte der lange Zug von Andächtigen von der alten zur neuen Synagoge durch die Straßen der Stadt, voran die Chorsänger unter Musikbegleitung einen Psalm anstimmend, gefolgt von den Trägern der gleichmäßig bekleideten Tora’s unter einem gleichfarbigen Baldachin, dem sich viele Staatsdiener in Uniform, Geistliche, Schullehrer, das Landwehroffizierskorps, der Stadtmagistrat, die Gemeindeangehörigen und Gäste je drei und drei angereiht hatten. ... Die Krone der Vollendung setzte aber dem Ganzen die Festpredigt des Herrn Distriktrabbiners Dr. Feuchtwang von Oettingen auf, ... Wir vermögen diesen kurzen Bericht nicht zu schließen ohne ein ernstes Wort, das aus einem für das Judentum und seine Bekenner warm schlagenden Herzen fließt, an Dr. Feuchtwang öffentlich zu richten: Sie haben sich, Herr Rabbiner, durch ein asketisches Leben, durch eine tüchtige wissenschaftliche Bildung, verbunden mit einem seltenen Rednertalent in kurzer Zeit eine in der heutigen Judenheit seltene Popularität und somit einen breiten Boden segensreichen Wirkens erworben: Sie kennen die Schäden Israels nach beiden Richtungen sattsam; Ihre mit aller Begeisterung vorgetragenen Ansichten und Begriffe vom Gebet und seinen Erfordernissen können Sie in ihren Konsequenzen nicht nur nicht zum Gegner einer Kultusreform, sie müssen Sie zum eifrigsten Beförderer derselben machen; Sie stehen mit Ihren Ideen und Grundsätzen trotz Ihrem festen Anschließen an alle hergebrachten Bräuche und Übungen mitten in den Strömungen der Neuzeit! Erwehren Sie sich ihrer nicht! Sie sind der Mann, der in den Riß sich zu stellen und die Gegensätze in der heutigen Judenheit innerhalb eines großen Kreises zu vermitteln vermag, wenn Sie nicht untätig zuschauen und im Gehen lassen Heil suchen, sondern kräftig eingreifend helfen zur Schaffung neuer Institutionen und zur zeitgemäßen Belebung der veralteten, welchen die schönsten Vorträge außerdem nicht aufhelfen können, da sie selbst in der Herzen ihrer steifsten Anhänger keine Wärme, keinen fruchtbringenden Boden vorfinden.
... Sie halten mir, Herr Rabbiner, diese freimütigen Worte zugute; Ihr frommer Sinn, Ihre Anspruchslosigkeit bürgen mir dafür. Auch andere werden mir darob nicht zürnen; ist es doch gleich, aus wessen Mund das Wort der Wahrheit kommt, so es nur redlich gemeint und in Ehren gesprochen ist. K.
Daneben gehörte eine Mikwe im Privathause einer Familie zu den gemeindlichen Einrichtungen. In einem anderen Hause befand sich eine 'Judenherberge', in der durchziehende Händler Unterkunft fanden.
Über ein eigenes Beerdigungsgelände verfügte die Gemeinde nicht; ihre Verstorbenen fanden auf dem nach 1550 angelegten jüdischen Verbandsfriedhof in Georgensgmünd ihre letzten Ruhe.
Friedhof in Georgensgmünd (Aufn. J.E. Loebe, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)
aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 12.Mai 1892
Über ein halbes Jahrhundert war in der Windsbacher Gemeinde Jakob Hirsch Weinschenk als Mohel (= Beschneider) tätig. Anlässlich seiner 50jährigen Tätigkeit erschien in der Zeitschrift „Der Israelit“ am 4.Aug. 1868 der folgende Kurzartikel:
Anm.: Hochgeehrt starb Jakob Hirsch Weinschenk im Jahre 1878.
Zu Beginn des 19.Jahrhunderts gehörte Windsbach zum Bezirksrabbinat Schwabach; ab den 1860er Jahren unterstand die Gemeinde dem Bezirksrabbinat Ansbach.
Juden in Windsbach:
--- 1714 ......................... 4 jüdische Familien,
--- 1726.......................... 7 " " ,
--- 1754 ......................... 13 " " ,
--- 1764 ......................... 18 “ “ ,
--- 1812 ......................... 70 Juden (ca. 7% d. Bevölk.),
--- 1837 ......................... 75 “ ,
--- 1867 ......................... 97 “ (ca. 6,5% d. Bevölk.),
--- 1890 ......................... 89 “ ,
--- 1910 ......................... 76 “ (4,6% d. Bevölk.),
--- 1925 ......................... 47 “ (3,3% d. Bevölk.),
--- 1933 ......................... 42 “ ,
--- 1937 (Juni) .................. 28 “ ,
--- 1938 (Nov.) .................. 20 “ ,
(Dez.) .................. eine Jüdin.
Angaben aus: Baruch Z.Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 240
und Windsbach, in: alemannia-judaica.de
Um 1900 waren die meisten Windsbacher Juden als Kaufleute tätig: sie handelten vor allem mit Vieh, Hopfen, Schnittwaren und Textilien aller Art.
Bereits Anfang der 1920er Jahre führte antisemitische Stimmungsmache zu ersten gewalttätigen ‚Aktionen‘ im Ort, als von jüdischen Familien bewohnte Häuser und das Snagogengebäude mit rechten Parolen beschmiert wurden.
Zwischen 1933 und 1938 verließen etwa zwei Drittel der jüdischen Einwohner Windsbach und zogen in die Anonymität größerer deutscher Städte, zumeist nach München und Nürnberg; nur wenigen gelang die Emigration. Mitte Oktober 1938 wurden die noch verbliebenen Juden Windsbachs von den Kommunalbehörden gezwungen, ihr Einverständnis zum Verlassen der Stadt bis Frühjahr 1939 zu erklären. In einem Flugblatt, das auf Gewalttaten im benachbarten Leutershausen anspielte, hieß es u.a.: „... Der Jude hatte in den letzten kritischen Wochen die feste Absicht, einen Teil der Völker der Erde in einen fürchterlichen Krieg zu hetzen. Die deutsche Nation sollte niedergerungen und vernichtet werden. ... Unser unerschütterlicher Wille ist: Windsbach muß in kurzer Zeit von Juden frei sein.“
Am Morgen des 10.November 1938 führten - auf Befehl des NSDAP-Kreisleiters von Ansbach - auswärtige SA-Leute, denen sich hiesige Einwohner anschlossen, antijüdische „Aktionen“ durch: So wurde in Wohnungen jüdischer Familien eingedrungen und die verängstigten Menschen in der Turnhalle zusammengetrieben; danach demolierte man das Mobiliar der verlassenen Wohnungen. Auch die Inneneinrichtung des Synagogenraums - einschließlich der Ritualien - und die Fenster des Gebäudes wurden zerstört. Die jüdischen Männer wurden nach Ansbach gebracht und dort vorübergehend in Haft genommen. Bis Ende Dezember 1938 wanderten die letzten jüdischen Einwohner fast vollständig ab; nur eine „in Mischehe“ lebende Jüdin blieb im Ort. Gegen diese empörte sich „die Volkswut“, wie es in einem Bericht des Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken vom 7.12.1941 hieß:
„ In der Nacht vom 15. auf 16.Nov. wurde vor dem Rathaus in Windsbach Lkr. Ansbach zum Protest gegen die einzig im Landkreis noch vorhandene jüdische Person, die Ehefrau des Uhrmachers Reuter, ein Galgen mit der Aufschrift ‘Für die Jüdin’ aufgestellt. ...”
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." fielen 35 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Juden aus Windsbach dem Holocaust zum Opfer (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/windsbach_synagoge.htm).
Vor dem Landgericht Ansbach fand zwei Jahre nach Kriegsende ein Prozess gegen etwa 30 an dem Pogrom in Windsbach beteiligten Personen statt; 19 Angeklagte wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, die restlichen freigesprochen.
Das Synagogengebäude und die Mikwe blieben bis in die Nachkriegszeit erhalten; das ehemalige Synagogengebäude in der Heinrich-Brandt-Straße wurde zur Privatnutzung umgebaut. Der Initiative einiger Bürger ist es zu verdanken, dass 2008 eine Gedenktafel am einstigen Synagogengebäude angebracht wurde.
Ein Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof in Georgensgmünd erinnert an die Windsbacher jüdischen Bewohner, die deportiert und ermordet wurden.
Weitere Informationen:
Karl Dunz, Schicksal der Juden in Windsbach, Neuendettelsau 1947
Baruch Z.Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 240/241
Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 200
Karl Dunz, Das Schicksal der Windsbacher Juden, Windsbach 1995
Hermann Altmann, Die Judengemeinde in der Stadt Windsbach 1298 – 1938, hrg. von der Stadt Windsbach, Neuendettelsau 1996
Roland Bauereisen, Die „Reichskristallnacht“ in Windsbach, Facharbeit am Laurentius-Gymnasium Neuendettelsau 1998
Ralf Rossmeissl, Jüdische Heimat Windsbach, Windsbach 2003
Karl Lechner, Synagoge Windsbach (Faltblatt), Windsbach 2008
Windsbach, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
B. Eberhardt/C. Berger-Dittscheid, Windsbach, in: Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band 2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2010, S. 736 – 756