Winzenheim (Elsass)

Kreis Colmar.png Winzenheim (frz. Wintzenheim) ist eine französische Kleinstadt mit derzeit ca. 7.500 Einwohnern - nur wenige Kilometer westlich von Colmar gelegen (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die israelitische Gemeinde in Win(t)zenheim mit etwa 800 Angehörigen ihren personellen Zenit.

In Winzenheim war eine der ältesten und angesehensten jüdischen Gemeinden des Oberelsass beheimatet. Ihre Wurzeln reichten vermutlich bis ins ausgehende 15.Jahrhundert zurück. Seit dem 16.Jahrhundert siedelten sich im Dorf, das zwei Grundherrschaften unterstand, zahlreiche jüdische Familien an. Während der Revolutionswirren im Sommer 1789 mussten die jüdischen Familien - nach Plünderung ihres Eigentums durch marodierende Banden - aus dem Dorfe in die sicheren Städten flüchten; erst Wochen später konnte das Militär die Gewalttaten stoppen. Die Flüchtlinge konnten nun in ihre alten Wohnungen wieder zurückkehren; dazu bedurfte es allerdings einer Verordnung der Regierung. Trotz Spannungen und Konflikten entwickelte sich die Judengemeinde Winzenheims in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts mit mehr als 800 Angehörigen zu einer der größten im Oberelsass.

Ein im 18.Jahrhundert errichtetes Synagogengebäude existiert bis auf den heutigen Tag; es wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach restauriert.

      

Synagoge von Winzenheim (Aufn. Guy Frank, 2002) und Synagogeninnenraum (Aufn. Rothé, um 1990)

Wegen der Bedeutung der hiesigen Gemeinde war Winzenheim Sitz eines Rabbinats.

Zum Tode des langjährigen Rabbiners Theodor Ditesheim erschien in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 20. Februar 1883 der folgende Artikel: "Am 18. Januar verstarb zu Wintzenheim bei Colmar Rabbiner Theodor Ditesheim. Er war 74 Jahre alt und hatte fast 50 Jahre sein Amt bekleidet. Durch seinen energischen Charakter und seine unermüdliche Wohltätigkeit hatte er sich die allgemeine Liebe und Achtung erworben, die sich auch bei seinem Leichenbegängnis bekundete, an welchem außer den Vertretern des israelitischen Konsistoriums sich auch der Stadtrat und ein großer Teil der katholischen Bevölkerung, der Pfarrer an der Spitze beteiligten. Außer dem Rabbiner Wurmser von Thann und Bloch von Remiremont, der erster in deutscher, der andere in französischer Sprache, hielt auch ein christlicher Freund des Verstorbenen, der ausgezeichnete Industrielle J. Kiener, eine ergreifende Rede am Grabe."

Bis Ende des 18.Jahrhunderts begruben die Winzenheimer Juden ihre Verstorbenen auf dem etwa 30 Kilometer entfernten Friedhof in Jungholtz; anschließend stand ihnen ein Begräbnisgelände in Richtung Turckheim zur Verfügung.        

Juden in Winzenheim:

    --- um 1765 ................... ca.  50 jüdische Familien,

--- 1784 .......................... 417 Juden (in 87 Familien),

    --- 1808 .......................... 517   “  ,

    --- 1846 .......................... 804   “  ,

    --- 1861 .......................... 724   “  ,

    --- 1900 .......................... 249   “  ,

    --- 1936 ..........................  97   “  ,

    --- 1953 ..........................  26   “  .

Angaben aus: Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, S. 54

 

Nach dem deutschen Einmarsch wurden im Laufe des Jahres 1940 die noch hier lebenden jüdischen Einwohner nach Frankreich deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden 40 gebürtige bzw. längere Zeit in Wintzenheim ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung dfer betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/wintzenheim_synagogue.htm).

 

Nach Kriegsende kehrte einige jüdische Überlebende wieder nach Wintzenheim zurück.

Auf dem jüdischen Friedhof erinnert heute ein Mahnmal an die im Zweiten Weltkrieg umgekommenen Gemeindemitglieder von Wintzenheim und Umgebung. Während der alte Teil des Begräbnisgeländes von der Vegetation stark überwuchert ist, macht der jüngere Teil einen gepflegteren Eindruck.

Im Jahre 2000 beging man das 250jährige Synagogenjubiläum; in den Jahren zuvor war das Gebäude einer gründlichen Renovierung unterzogen worden.

            Ehem. Synagogengebäude (Aufn. Rauenstein, 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Daniel Stauben wurde 1825 als Auguste Widal als Sohn einer in bescheidenen Verhältnissen lebenden jüdischen Familie in Winzenheim geboren; er besuchte dort die jüdische Dorfschule. In Colmar, danach in Paris erhielt Daniel Stauben eine höhere Bildung, die ihn ein Literaturstudium eröffnete. Später lehrte er an den Universitäten von Douai und Besançon und war bis zu seinem Tode im Jahre 1875 Generalinspekteur für lebende Sprachen in Paris. Mit seinen Reisebeschreibungen hat Daniel Stauben eine außergewöhnliche jüdische Welt festgehalten, die bereits damals, in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, im Schwinden begriffen war: die Welt der bäuerlichen Landjuden im Elsass. Stauben starb 1875 in Paris.

 

 

 

In Vöklingshofen (frz. Voegtlinshoffen) bestand bis gegen Mitte des 19.Jahrhunderts eine kleine jüdische Gemeinde. Deren Anfänge reichen in die Zeit des 18. Jahrhunderts zurück. Um 1785 lebten im Ort zehn jüdische Familien; im Laufe des 19.Jahrhunderts ging deren Zahl zurück. Ende der 1930er Jahre lebten nur noch zehn Juden hier; sie wurden 1940 nach Südfrankreich deportiert.

 

 

 

In der unterelsässischen Ortschaft Winzenheim (frz. Wintzenheim) gab es auch eine jüdische Gemeinde, die allerdings bei weitem nicht die Bedeutung der gleichnamigen Gemeinde im Oberelsass besaß. Zur Zeit ihrer Blüte gehörten der kleinen Gemeinde etwa 100 Mitglieder an; ihre Auflösung muss in den 1920er Jahren erfolgt sein.

Juden in Winzenheim-Kocherberg:

--- 1784 ..........................  18 jüdische Familien,

--- 1846 .......................... 109 Juden,

--- 1861 .......................... 103   “  ,

--- 1910 ..........................  78   “  ,

--- 1936 ..........................   8   “  .

Angaben aus: Wintzenheim-Kocherberg, in: alemannia-judaica.de

              Synagoge in Winzenheim (hist. Aufn.)

[vgl. Quatzenheim (Elsass)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, Jerusalem 1992

Yvonne Lévy-Picard, Szenen des jüdischen Lebens in Wintzenheim (Kindheitserinnerungen), o.O. o.J.

Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1663/1664

Freddy Raphael, Eine eigenartige Anwesenheit der Juden im Elsaß. Die Konstruktion eines Vergessens, in: sdr.fr/judaisme

Daniel Gerson, Die Kehrseite der Emanzipation in Frankreich. Judenfeindschaft im Elsass 1778 bis 1848, hrg. vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Klartext-Verlag, Essen 2006, S. 79/80 und S. 177 f.

Le Livre de Mémoire du Cimetière Israélite de Wintzenheim, in: judaisme.sdv.fr/synagog/hautrhin/

Jean Geimar (Bearb.), Histoire de la Synagogue de Wintzenheim - Extrait de la Brochure éditée à l'occasion de la réinauguration de la synagogue, online abrufbar unter: judaisme.sdv.fr/synagog/hautrhin/r-z/wintzenh/synag.htm

Wintzenheim (Elsass), in: alemannia-judaica.de

Voegtlinshoffen (Elsass), in: alemannia-judaica.de

Wintzenheim-Kocherberg (Elsass), in: alemannia-judaica.de

Hélène Both, Cimetières juifs d`Alsace - Rosenwiller et Wintzenheim, Strasbourg, in: "Publications de la Société Savante d’Alsace", 2012