Wittelshofen (Mittelfranken/Bayern)
Wittelshofen - seit 1978 Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft Hesselberg - ist eine kleine Ortschaft mit derzeit ca. 1.300 Einwohnern im Süden des mittelfränkischen Landkreises Ansbach - zwischen den Städten Ansbach und Nördlingen gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Ansbach', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die Anfänge der jüdischen Gemeinde im mittelfränkischen Dorf Wittelshofen im Kreis Ansbach liegen im ausgehenden 17.Jahrhundert; ob sich bereit in den Zeiten zuvor Juden sich hier niedergelassen hatten, kann nicht belegt werden. Die ersten Schutzbriefe stellten die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach 1661 bzw. 1673 aus. Vier Jahrzehnte später wurde Wittelshofen zu den „wohlhabendsten Judenorten“ in der Markgrafschaft Ansbach gezählt; zum damaligen Zeitpunkt stellten die jüdischen Familien mehr als die Hälfte (!) der Ortsbevölkerung. Um die Wende zum 19.Jahrhundert stand die damals relativ wohlhabende Kultusgemeinde in voller Blüte, deren Angehörige um 1810 noch mehr als 40% der Dorfbevölkerung ausmachten. Die jüdischen Familien lebten vor allem vom Viehhandel, aber auch Handels- und Vermittlungsgeschäfte wurden betrieben.
Das "Judenviertel" (Rekonstruktionsskizze von Heinrich Zoller, 1925)
Anfang der 1840er Jahre ließ die Gemeinde eine neue Synagoge mit Schulraum errichten. Neben Eigenmitteln der Kultusgemeinde trugen auch eine landesweit durchgeführte Kollekte und eine Zuwendung des Hauses Rothschild zur Realisierung des Neubaus bei. Am 8.Juli 1844 (mehr als ein halbes Jahr nach der Einweihung) berichtete die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ über dieses gemeindliche Ereignis wie folgt:
Aus Mittelfranken, 13. Juni (Privatmitth.). In unserer materiellen Zeit ist es ein schönes Zeichen, daß unsere, meist nicht sehr großen, Gemeinden sehr auf Verschönerung und den Anforderungen der Zeit entsprechende, innere Ausstattung ihrer Synagogen bedacht sind. Dass hier kein Opfer zu groß ist, davon überzeugen wir uns leicht, wenn wir in die kleinsten Gemeinden kommen und uns die Synagoge zeigen lassen. Der Staub voriger Jahrhunderte ist verbannt, Reichlichkeit, Ordnung, zweckmäßige Einrichtung sind an seine Stelle getreten. Der Gottesdienst selbst wird auf eine würdige Weise abgehalten, und wenn auch die Veredlung und Verbesserung des innern Menschen gleichen Schritt hält mit diesen Einrichtungen, dann - gehen wir gewiss einer bessern Zeit entgegen. Auch zwei neue Synagogen sind in der jüngsten Zeit in unserem Kreise entstanden: die zu Wittelshofen, eingeweiht den 1. Dezember 1843und die zu Pahres, eingeweiht den 1. Juni 1844, - beide würde der Gemeinden, denen die Verherrlichung Gottes über Alles ging. Besonderer Erwähnung verdient eine Rede des königlichen Landrichters Herrn Meyer in Dinkelsbühl - nunmehr in gleicher Eigenschaft in Nürnberg wirkend, - welche derselbe bei der Einweihung in Wittelshofen, nachdem ihm ein Schulkind den Schlüssel auf einem seidenen Kissen überreicht hatte, vor der Synagogentüre gehalten hat. Er lobte den in dieser Gemeinde herrschenden guten Geist, stellte dieselbe sogar zum Muster für christliche Gemeinden auf ... Sehr zu bedauern ist, daß acht Tage nach Einweihung der Synagoge von unbekannten, verruchten Händen das Häkdesch ("Opferstock"), in welchem eine nicht unbedeutende Summe enthalten war, ganz ausgeleert wurde.
Synagoge (Bildmitte) - Ausschnittsvergrößerung aus einer Postkarte (um 1935) - vor der Synagoge (Aufn. Anfang der 1930er Jahre)
Zur Besorgung gemeindlicher religiöser Aufgaben war ein Lehrer angestellt.
tellenanzeigen von 1868 und 1891
Ihre Verstorbenen begrub die Wittelshofener Judenschaft auf dem Friedhof in Schopfloch.
Um 1810 war die Gemeinde dem Distriktsrabbinat von Gunzenhausen zugeteilt, wenige Jahre später schloss man sich dem Rabbinatsbezirk Wassertrüdingen bzw. Schopfloch an. Seit 1897 unterstand die kleiner gewordene Gemeinde dem Bezirksrabbinat Ansbach.
Juden in Wittelshofen:
--- 1716 .......................... 30 jüdische Familien,
--- 1761 .......................... 210 Juden,
--- 1801 .......................... 34 jüdische Familien,
--- um 1810 ................... ca. 185 Juden,
--- 1826 .......................... 193 “ ,
--- 1867 .......................... 104 “ (ca. 17% d. Bevölk.),
--- 1871 .......................... 83 " (ca. 13% d. Bevölk.)
--- 1880 .......................... 62 “ ,
--- 1910 .......................... 42 “ ,
--- 1925 .......................... 33 “ ,
--- 1933 .......................... 17 “ ,
--- 1938 (Okt.) ................... 8 “ ,
--- 1939 (Jan.) ................... keine.
Angaben aus: Wittelshofen/Kreis Ansbach, aus: alemannia-judaica.de
Ab Mitte des 19.Jahrhunderts verstärkte sich die Abwanderung in die Städte bzw. die Auswanderung nach Übersee. Die Wittelshofener Gemeinde verlor nun immer mehr Angehörige, besonders jüngere Menschen; um die Jahrhundertwende lebten nur noch etwa 50 Juden im Dorf. Gegen Ende der 1920er Jahre wurde dann kein Minjan mehr erreicht. Nach dem Tod des letzten jüdischen Lehrers, Julius Sommer, sah sich die sterbende Gemeinde genötigt, ihre Religionsschule zu schließen (1926).
Notiz in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. März 1928
Zu Beginn des NS-Zeit waren alsbald die 17 hier noch lebenden, meist älteren Juden mit Repressionsmaßnahmen konfrontiert; so durften sie z.B. keine Lebensmittel im Dorfe einkaufen und waren gezwungen, sich auswärts zu versorgen. Forciert hatte diese Maßnahmen der damalige Bürgermeister Friedrich Tempel, der mit seiner andauernden Hetze die antijüdische Stimmung anheizte und damit für die gewalttätigen Übergriffe hauptverantwortlich war.
Wenige Monate vor dem Novemberpogrom von 1938 löste sich die jüdische Gemeinde auf; die letzten acht Juden aus Wittelshofen erlebten noch mit, wie ihre Synagoge - die Ritualien waren zuvor dem Verband der Bayrischen Israelitischen Gemeinden übergeben worden - zerstört wurde und bis auf die Grundmauern niederbrannte; sie selbst wurden verhaftet, auf einen LKW verladen und nach Feuchtwangen verbracht. Einige Tage später durften sie nach Wittelshofen zurückkehren - jedoch nur, um ihren Hausrat zu packen. Zur "Feier des Tages" ließ der Bürgermeister den Ort beflaggen ! Anfang 1939 lebten keine Juden mehr in Wittelshofen.
Die Synagogenruine wurde 1939 abgebrochen, ein Teil des Abbruchmaterials zum Straßenbau verwendet und das Gelände später mit einer Scheune überbaut.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind 24 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Bewohner dem Holocaust zum Opfer gefallen (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/wittelshofen_synagoge.htm).
Dank privater Initiative wurde jüngst vor dem Heimatmuseum auf einem Felsblock eine schlichte Gedenktafel angebracht (Aufn. A. Brosig), die an die ehemaligen jüdischen Bewohner Wittelshofens erinnert. Unter einem Davidstern steht die Inschrift:
Zum Gedenken an die Jüdische Gemeinde in Wittelshofen bis 1938
Über 300 Jahre lebten sie hier in Frieden
Den Lebenden zur Mahnung
Weitere Informationen:
Heinrich Zoller, Die Juden in Wittelshofen, Manuskript, o.O. o.J.
Baruch Z.Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, München/Wien 1979, S. 243/244
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 200
Wittelshofen, in: alemannia-judaica.de (mit zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortsgeschichte)
Zeugen jüdischer Geschichte – 66 Steine gesichert, in: "Fränkische Landeszeitung" vom 8.9. 2008
Angelika Brosig, Juden in Wittelshofen, in: juden-in-schopfloch.de (Anm. zahlreiche personenbezogene Daten u. diverse Aufnahmen)
B. Eberhardt/C. Berger-Dittscheid, Wittelshofen, in: Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band 2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2010, S. 757 – 770
Gunther Reese (Hrg.), Spuren jüdischen Lebens rund um den Hesselberg, in: "Kleine Schriftenreihe Region Hesselberg", Band 6, Unterschwaningen 2011