Wismar (Mecklenburg-Vorpommern)

Wismar - Europa1900 Bildergebnis für nordwestmecklenburg karte Wismar ist seit 2011 Kreisstadt des Landeskreises Nordwestmecklenburg und mit derzeit ca. 43.000 Einwohnern die sechstgrößte Stadt des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern (Ausschnitt aus hist Karte, aus: europe1900.eu  und  Kartenskizze 'Landkreis Nordwestmecklenburg', aus: ortsdienst.de/mecklenburg-vorpommern/nordwestmecklenburg).

 

In Wismar hat es keine autonome neuzeitliche jüdische Gemeinde gegeben.

Einen allerersten Hinweis darauf, dass in Wismar Juden vermutlich gelebt bzw. sich aufgehalten haben, findet sich im Stadtbuch von Wismar für das Jahr 1260.

In der Stadt Wismar siedelten sich nachweislich bereits 1266 einige Juden an - die älteste urkundlich nachgewiesene Ansiedlung von Juden in Mecklenburg. In diesem Jahr verlieh Heinrich I. - als Fürst zu Mecklenburg von ca. 1265 bis 1302 regierend - der Stadt Wismar das lübische Recht und stattete die in den Mauern der Stadt lebenden Juden mit besonderen Rechten aus – gegen Entrichtung eines nicht unerheblichen Schutzgeldes. Die wenigen hier lebenden, zeitweilig von Ausweisung bedrohten Familien bestritten ihren Lebensunterhalt vom Geldverleih und vom Handel. Nur mit Hilfe der fürstlichen Protektion konnten sich die jüdischen Familien in Wismar halten – meist zum Unwillen des Magistrats der Stadt. Diesem wurde in einer 1337 mit dem Herzog Albrecht II. (der Große) erfolgten Vereinbarung zugestanden, dass hier fortan nur zwei Judenfamilien wohnen durften.

Wismar zur Hanse-Zeit (Abb. N3MO, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Um 1300 ist in Wismar eine „Judenstraße“ bekannt, die spätere Altböterstraße. Die Existenz eines Bethauses und eines Friedhofs zu damaliger Zeit kann nicht nachgewiesen werden.

Die Juden müssen in Wismar damals so verhasst gewesen sein, dass den Bürgern bei 10 Mark Silber Strafe verboten war, einen Juden zu beherbergen. Im Falle, dass ein Jude vor der Stadt angetroffen würde, sollte er ins Gefängnis geworfen werden. 1350 wurden die Juden vom Magistrat der Stadt aus Wismar schließlich vertrieben; zugestanden wurden ihnen nur die Anwesenheit auf den Jahrmärkten.

Juden in Wismar:

--- um 1340 ......................... 2 jüdische Familien,

--- 1350 bis ca. 1870 ............... keine dauerhafte Ansässigkeit,

--- 1871 ............................ 19 Juden,

--- um 1880 ..................... ca. 40   “  ,

--- 1905 ........................ ca. 30   “  ,

--- 1910 ........................ ca. 45   “  ,

--- 1933 ............................ 22   “  ,

--- 1935 ............................ 20   “  ,

--- 1942 ............................  4 Jüdinnen.

Angaben aus: Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Wismar

Wismar um 1850 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Seit ihrer Vertreibung in der Zeit der Pestpogrome bis Ende der 1860er Jahre gab es in Wismar keinen dauerhaften Aufenthalt von Juden. Im Jahre 1867/1868 wurden - im Rahmen des Freizügigkeitsgesetzes - die Niederlassungsbeschränkungen aufgehoben. Danach wurden wieder einige jüdische Familien in Wismar ansässig; ihre Zahl war aber so gering, dass keine selbstständige Gemeinde gegründet werden konnte. Deshalb hat es hier auch keine eigene Synagoge oder einen jüdischen Friedhof; verstorbene Wismarer Juden wurden auf umliegenden Friedhöfen beerdigt, so vor allem in Neubukow.

Die Zugehörigkeit der wenigen jüdischen Familien Wismars wechselte zwischen Neu-Bukow und Bützow; zuletzt waren sie der Schweriner Gemeinde angeschlossen.

Wismar. Markt mit alter Wasserkunst, 1907Wismar – Markt mit alter Wasserkunst (hist. Aufn. 1907, aus: nailizakon.com)

Geschäftsanzeige von 1928 (Quelle: „Mecklenburger Tageblatt“) http://www.wismar.de/media/custom/1800_4018_1_m.JPG?1450185624

Familie Blass überlebte den Holocaust; ihr gelang die Flucht nach England flüchten; von dort emigrierte sie später in die USA.

Zu Beginn der 1930er Jahre gab es in Wismar die folgenden jüdischen Geschäfte: das Kaufhaus Karseboom (Hinter dem Rathaus), das Schuhwarengeschäft Blass (ABC-Straße), das Herrenkonfektionsgeschäft Cohn (Bohrstraße), das Geschenkegeschäft Löwenthal und das Damenfachgeschäft Lindor (beide Hinter dem Rathaus). Beim Judenboykott“ am 1. April 1933 hatten sich Wismarer SA-Angehörige mit Plakaten vor diesen Geschäften postiert, um deren Kundschaft von einem Einkauf abzuhalten.

Bild vergrößern: Kaufhaus Karseboom, 1929.Kaufhaus Karseboom (hist. Aufn. aus: Familienarchiv Karseboom/Hertz)

Die antisemitische Haltung der Wismarer Lokalbehörden wurde im Sommer 1935 durch die Errichtung eines Prangers auf dem Marktplatz deutlich, wo Bilder von hiesigen Juden und Regimegegnern aufgehängt wurden.

Während der „Reichskristallnacht“ waren „Aktionen“ gegen die jüdischen Einwohner zu verzeichnen: So wurden am Morgen des 10. November 1938 die Schaufenster jüdischer Geschäfte eingeworfen und diese anschließend demoliert. Das Kaufhaus Karseboom entging den Anschlägen nur deshalb, weil es zu diesem Zeitpunkt bereits „arisiert“ war. Am gleichen Tage formierte sich ein „Protestmarsch gegen Juden in der Stadt“, an dem etwa die Hälfte (!) der Wismarer Einwohnerschaft teilgenommen haben soll; die beim Marsch mitgeführten „Judengalgen“ mit Strohpuppen wurden dann auf dem Marktplatz aufgerichtet. Fünf jüdische Männer wurden tags darauf in „Schutzhaft“ genommen und ins Gerichtsgefängnis nach Alt-Strelitz verbracht; nach einer Woche wurden sie wieder freigelassen. Die meisten der Inhaftierten nahmen dies zum Anlass, in die Emigration zu gehen. 1942 lebten nur noch vier Frauen mosaischen Glaubens in Wismar, davon drei in „privilegierter Mischehe“.

 

Der 1994 gegründeten Schweriner Gemeinde gehören gegenwärtig auch mehr als 140 Wismarer Bürger mosaischen Glaubens an (Stand 2016).

In den Straßen Wismars wurden 2008 auf Initiative von Schülern des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums die ersten sog. „Stolpersteine“ verlegt. Derzeit findet man - dank vieler Ehrenamtlicher - in den Gehwegen insgesamt 47 Steine (Stand 2022), die an jüdische und nicht-jüdische Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnern. Allein für Angehörige der jüdischen Kaufmannsfamilie Karseboom wurden sieben Steine verlegt.

Datei:Stolperstein Wismar Dr.-Leber-Straße Frieda Karseboom.jpgDatei:Stolperstein Wismar Vogelsang 7 Friedrich Karseboom.jpgDatei:Stolperstein Wismar Vogelsang 7 Lucie Karseboom.jpgDatei:Stolperstein Wismar Vogelsang 7 Arie Karseboom.jpgDatei:Stolperstein Wismar Vogelsang 7 Ingrid Karseboom.jpgDatei:Stolperstein Wismar Vogelsang 7 Adolph Karseboom.jpg

Stolpersteine für Angehörige der jüdischen Familie Karseboom, verlegt Vogelsang (Aufn. Gmbo, 2019, aus: wikipedia.org, CCO)

Stolperstein für Gertrud Bernhard (Wismar).jpgStolperstein für Louis Lewinski (Wismar).jpgStolperstein für Max Ehrlich (Wismar).jpg Aufn. Chr. Michelides, 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0

Stolperstein für Dr. Leopold Liebenthal (Wismar).jpg Zu Ehren von Dr. Leopold Liebenthal, der seit 1894 in Wismar praktizierte, wurde eine Gedenktafel in der Altwismarstraße 10 angebracht, dort befanden sich seine Wohnung und seine Praxis. Außerdem ist in Wismar eine Straße nach ihm benannt.

In der ABC-Straße erinnern seit 2022 fünf Stolpersteine an Angehörige der jüdischen Familie Rosenberg, die in Wismar ab Mitte der 1920er Jahre ein Textilgeschäft betrieben hatte. Nach dessen Aufgabe (1935) verließ die Familie die Stadt in Richtung Warschau. Während der ersten Kriegsjahre hielt sie sich im Ghetto Radom auf und wurde dann ermordet. 

 

 

 

Südöstlich von Wismar liegt das Städtchen Warin; die bestehende winzige jüdische Gemeinde legte im 18.Jahrhundert westlich der Ortschaft ihren Friedhof an, auf dem bis ca. 1900 etwa 80 Begräbnisse erfolgten. Während der NS-Zeit wurde das ca. 1.600 m² große Friedhofsgelände geschändet und nach 1945 eingeebnet wurde. Die kleine Gemeinde in Warin hatte sich schon um 1900 aufgelöst; das Bethaus war bereits um 1880 aufgegeben worden; seitdem dient es bis auf den heutigen Tag Wohnzwecken.

Seit 1961 erinnert nur ein Gedenkstein an den ehemaligen jüdischen Friedhof.  

vgl. dazu: Sternberg (Mecklenburg-Vorpommern)

 

 

 

Die Anfänge jüdischer Ansiedlung in Grevesmühlen – der Ort liegt etwa 15 Kilometer westlich von Wismar - reichen bis ins 17./18.Jahrhundert zurück. Anfang der 1850er Jahre erreichte die Gemeinschaft personell ihren Zenit. 1873 erbauten die hiesigen Juden ihre Synagoge am Kleinen Vogelsang; wenige Jahre später wurde am Vielbecker Weg ein eigener Friedhof angelegt; zuvor waren Begräbnisse in Rehna erfolgt.

Mit der alsbaldigen Abwanderung der jüdischen Familien löste sich die kleine Gemeinde in kürzester Zeit auf; das Synagogengebäude wurde nach nur kurzzeitiger Nutzung (1884) aufgegeben und verkauft. Auch der Friedhof wurde nach 1900 nicht mehr genutzt.

Der letzte jüdische Einwohner, der Kaufmann Max Salomon, verließ 1933 seinen Heimatort und emigrierte in die Niederlande und überlebte die NS-Zeit in Großbritannien.

Einziger Hinweis auf den jüdischen Friedhof von Grevesmühlen ist ein Gedenkstein – aufgestellt im Jahre 1948. In den 1960er Jahren wurde das Gelände zu einer Gedenkstätte umgestaltet.  

vgl.  Grevesmühlen (Mecklenburg-Vorpommern)

 

 

 

Weitere Informationen:

Dietrich Schröder, Kurze Beschreibung der Stadt und Herrschaft Wismar, 1858 (Kapitel IX: Von den Juden, die ehemals in Wismar gewohnt haben)

Leopold Donath, Geschichte der Juden in Mecklenburg von den ältesten Zeiten (1266) bis auf die Gegenwart (1874), Leipzig 1874, S. 5 - 24

Carl August Endler, Die Juden in Mecklenburg, in: Mecklenburg, Werden und Wachsen eines Gaues, Leipzig 1938, S. 257 ff. (Anm.: stark antisemitisch gefärbt)

Germania Judaica, Band II/2, Tübingen 1968, S. 911 – 915

Jürgen Tack, Die “Endlösung der Judenfrage" in Mecklenburg von 1933 - 1945 (unter besonderer Berücksichtigung Rostocks), Staatsexamensarbeit Universität Rostock, Rostock 1969

Holger Dehmelt, Antisemitismus und Judenverfolgung in Mecklenburg von 1933 bis 1938, Diplomarbeit Universität Rostock, Rostock 1986

Karl Heinz Jahnke, Die Vernichtung der Juden in Mecklenburg, in: A.Herzig/I.Lorenz (Hrg.), Verdrängung und Vernichtung der Juden unter dem Nationalsozialismus, Verlag Christians, Hamburg, 1992, S. 291 - 307

Jürgen Borchert/Detlef Klose, Was blieb .... Jüdische Spuren in Mecklenburg, Verlag Haude & Spener, Berlin 1994, S. 79 - 84

Irene Dieckmann (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Mecklenburg-Vorpommern, Verlag für Berlin Brandenburg, Potsdam 1998, S. 195 – 223

Hans G. Hoch (Red.), Meine Erinnerungen an Wismarer Bürger jüdischen Glaubens, in: "Mitteilungsblatt der Altschülerschaft Wismar", No. 94 (2000), S. 28 - 30

Steffen Langusch, Zur Geschichte der Juden in Wismar, in: "Mitteilungsblatt der Altschülerschaft Wismar", No. 94/2000, S. 22 – 27

Traugott Maercker, Ergänzungen zur Geschichte der Juden in Wismar, in: "Mitteilungsblatt der Altschülerschaft Wismar", No. 95/2001, S. 45/46

Heinz Hirsch, Spuren jüdischen Lebens in Mecklenburg, in: "Reihe Geschichte Mecklenburg-Vorpommern", Heft 4, Hrg. Friedrich-Ebert-Stiftung Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2006

Bernd Kasten, Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938 – 1945, Hrg. Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2008, S. 56 – 65

Gerhard Fouquet, Juden in den Ostseestädten Wismar und Rostock im Mittelalter - ein Vergleich, in: "Jahrbuch für Regionalgeschichte", Band 30 (2012), S. 17 – 36

Florian Ostrop (Red.), Vor 70 Jahren blieben jüdische Geschäfte geschlossen, in: „Ostsee-Zeitung“ vom 28.3.2013

Falk Bertsch (Red.), „Was wir noch sagen sollten“ - Stolpersteine und Zeitzeugenstimmen in Wismar, in: „Zeitgeschichte regional – Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern", Heft 2/Dez. 2014, S. 118 - 121

Detlef Schmidt (Red.), Auf dem Wismarer Marktplatz wurde für Juden ein Galgen errichtet, in: „Wismar-Zeitung: Informations- und Anzeigenblatt für die Hansestadt Wismar und Umgebung“ vom 19.11.2015, S. 10

Norbert Wiaterek (Red.), Neue Stolpersteine verlegt. Fünf Mini-Denkmale erinnern in der ABC-Straße an die jüdische Familie Blass, in: "Ostsee-Zeitung" vom 28.6.2015

Hansestadt Wismar (Hrg.), Stolpersteine in Wismar (mit den Biografien der betroffenen Personen), online abrufbar unter: wismar.de

Auflistung der in Wismar verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Wismar

Biografien zu den verlegten Stolpersteinen, online abrufbar unter: wismar.de/Bürger/Kunst-und-Kultur/Stadtarchiv/Stolpersteine/

Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Wismar, in: Geschichte der Juden in Mecklenburg, Aufsatz vom 18.11.2016, in: juden-in-mecklenburg.de/Orte/Wismar

Michaela Krohn (Red.), Sieben neue Stolpersteine für Wismar, in: "Ostsee-Zeitung" vom 30.10.2017

Nicole Hollatz (Red), Vom Ende der jüdischen Kaufleute in Wismar, in: "Ostsee-Zeitung" vom 3.11.2017

Nicole Hollatz (Red.), WISMAR. Stolperstein-Schicksale als Buch, in: „Ostsee-Zeitung“ vom 27.10.2018

Heiko Hoffmann (Red.), Stolpersteine erinnern an Wismarer Kaufmannsfamilie, in: „Ostsee-Zeitung“ vom 17.2.2019

Hansestadt Wismar (Hrg.), Familie Karseboom, online abrufbar unter: wismar.de (betr. Stolpersteine für Fam. Karseboom)

Nicole Buchmann (Red.), Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus: Weitere Stolpersteine in Wismar verlegt, in: „SVZ – Schweriner Volkszeitung“ vom 25.5.2022

Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Red.). Wismar erhält sechs weitere Stolpersteine, in: nordkirche.de vom 26.10.2022