Wollenberg (Baden-Württemberg)
Wollenberg ist seit den 1970er Jahren ein Ortsteil der Stadt Bad Rappenau im Landkreis Heilbronn (Kartenskizze 'Landkreis Heilbronn', aus: ortsdienst.de/baden-wuerttemberg/landkreis-heilbronn).
In den Jahrzehnten um die Mitte des 19Jahrhunderts erreichte die isarelitische Gemeinde ihren personellen Zenit und stellte damals zeitweise ca. ein Drittel der Dorfbevölkerung.
Vermutlich lebten bereits im 16.Jahrhundert Juden im badischen Dorfe Wollenberg; allerdings stammen die ersten urkundlichen Hinweise erst aus dem 17. Jahrhundert. Als Schutzjuden waren sie wechselnden Grundherrschaften zu regelmäßigen Geldzahlungen verpflichtet - zuletzt den Herren von Gemmingen-Guttenberg.
Gegen Ende des 18.Jahrhunderts nahmen die hier lebenden jüdischen Familien ein neues „Judenquartier“ mitten im Dorf in Nutzung, das ihnen nur recht beengten Wohnraum - gegen Mietzahlungen an den herrschaftlichen Eigentümer - bot; eine detaillierte Hausordnung regelte ihre Bleibe; so hieß es u.a.:
1. Daß ein jeder sein Quartier säuberlich und reinlich halten und daß er in der Waschküche, in keinem Zimmer, Kammer oder Küche waschen solle, bei Strafe von 15 krz. ...
4. Ist täglich von der ganzen Judengemeinde die Treppe zur Schule nach einer unter ihnen zu treffenden Übereinkunft wenigstens zweimal zu reinigen, ..., bei Strafe von 24 krz. ...
8. Wer sich untersteht, vorn der Straße oder hinten im Höflein selbst oder seinen Kindern zu gestatten, die Notdurft zu verrichten, wird gestraft von 15 krz. ... Ebensowohl bei doppelter Strafe soll sich keiner unterstehen, in der unteren Etage des Nachts was auf den Gang oder zum Fenster hinaus, in der oberen aber auf das Dach zu schütten, sondern jedesmal ihre Nachttöpfe in die Kloaken ausleeren. ...
21. Auch sollt ihr euch nicht unterstehen, im neuen herrschaftlichen Bau Betteljuden und liederliches Gesindel zu beherbergen ...
(aus: Rudolf Petzold, Die Wollenberger Judenschaft, S. 251 - 253)
Wegen der seitens der Herrschaft zur Verfügung gestellten Wohnbauten war die Zahl der Juden Wollenbergs um die Wende zum 19.Jahrhundert deutlich gestiegen. Sie lebten meistens vom ambulanten Kleinhandel. Erst in den Folgejahrzehnten durften etwas besser gestellte Juden eigene Häuser in Wollenberg erwerben; nur die ärmsten blieben in den inzwischen maroden herrschaftlichen ‚Judenhäusern’ wohnen. Die zunächst pro-jüdische Einstellung der Grundherrschaft änderte sich, als die Einnahmen aus der Judenschaft immer spärlicher flossen; deshalb sah die Grundherrschaft sich genötigt, „ihre ehemaligen Grundsätze ... dahin zu ändern, ... sich aller Laster zu entledigen, welche diese Rasse von Menschen verursachen.”
Die erste „Judenschule“ (Betraum) befand sich seit 1789 in einem der Wohnunterkünfte; ihren Betrieb regelte ebenfalls eine „Ordnung“, deren Einhaltung dem sog. „Juden-Schultheißen“ aufgetragen wurde. Danach sollten die Juden ihre Fest- und Feiertage „mit Würde und Anstand [begehen und sich] alles anstößigen Lärmens und Geräusches” auf der Straße enthalten. Sollten bei Festlichkeiten Musikanten aufspielen, musste zuvor gegen Zahlung einer Gebühr die herrschaftliche Erlaubnis eingeholt werden. Da sich die Synagoge im „Judenbau“ bald als zu klein erwies und eine zunächst geplante Vergrößerung nicht realisiert werden konnte, errichtete die jüdische Gemeinde in den 1820er Jahren auf einem vom Schwanenwirt Christoph Heß erworbenen Gelände an der Deinhardstraße eine neue Synagoge. Das Gebäude beherbergte auch die Schule und die Lehrerwohnung. Ab den 1840er Jahren stand der Gemeinde auch ein neu erstelltes Frauenbad zur Verfügung.
Stellenangebote von 1899 und 1904
Ihre Verstorbenen beerdigte die Wollenberger Judenschaft anfänglich auf dem jüdischen Friedhof in Heinsheim; da der Beerdigungszug durch kurpfälzisches Territorium ziehen musste, benötigte man kostenpflichtige Geleitbriefe der Kurpfalz, worüber es zum Streit kam. Seit den 1740er Jahren nutzten die Wollenberger Juden dann den jüdischen Verbandsfriedhof in Waibstadt.
Trotz ihrer Größe besaß die Wollenberger Gemeinde keinen eigenen Rabbiner; sie musste deshalb auf den Rabbiner von Neckarbischofsheim zurückgreifen.
Ab 1827 war Wollenberg dem Rabbinatsbezirk Sinsheim zugeordnet.
Juden in Wollenberg:
--- 1717/18 ........................ 8 jüdische Familien,
--- 1737/38 ........................ 13 “ “ ,
--- 1759/60 ........................ 22 “ “ ,
--- 1799 ........................... 18 “ “ ,
--- 1806 ........................... 95 Juden,
--- 1824 ........................... 116 “ ,
--- 1829/30 ........................ 150 “ (ca. 35% d. Dorfbev.),
--- 1852 ....................... ca. 170 “ ,
--- 1875 ........................... 97 “ (ca. 26% d. Dorfbev.),
--- 1900 ........................... 32 “ (ca. 12% d. Dorfbev.),
--- 1925 ........................... 19 “ ,
--- 1933 ........................... 21 “ ,
--- 1938/39 ........................ 15 “ ,
--- 1940 (Nov.) .................... keine.
Angaben aus: Rudolf Petzold, Die Wollenberger Judenschaft
und W.Angerbauer/H.G. Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis u. Stadt Heilbronn. Geschichte, ...., S. 241
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die Wollenberger Gemeinde mit etwa 170 Angehörigen ihren numerischen Höchststand; wenig später setzte allerdings zunehmend die Abwanderung der jüdischen Bewohner ein. Während ein Teil in Nordamerika seine wirtschaftliche Zukunft sah, verzog der andere in größere deutsche Städte. In den 1920/1930er Jahren lebten nur noch wenige jüdische Familien in Wollenberg; diese waren im Allgemeinen gut in die Dorfgesellschaft integriert; das änderte sich auch in den ersten Jahren der NS-Herrschaft nicht.
An ehemaligen gewerblichen Betrieben, die Anfang der 1930er Jahre im Besitz jüdischer Familien waren, sind bekannt: Viehhandlung Heinrich Kahn (Zum Forst), Textil- und Eisenwarengeschäft Salomon Kahn (Deinhardstraße), Schuhcreme-Handel Ferdinand Löbmann (Am Kirchberg), Viehhandlung Karl Mayer & Sohn (Deinhardstraße), Eisenwarenhandlung Gustav Reis (Deinhardstraße) und Kurzwarenhandlung Julius Steinberg (Deinhardstraße). Die letzten beiden jüdischen Geschäfte am Ort bestanden bis Ende 1938; außerdem gab es noch zwei Viehhandlungen.
Das Synagogengebäude an der Ecke Deinhardstr./Poststr. wurde am 10. November 1938 von einem SA-Trupp vollständig zerstört, wenig später größtenteils abgetragen; die Holzteile wurden verbrannt. Das Grundstück musste kurz darauf an die Kommune abgetreten werden. Im Kaufvertrag vom Juni 1939 hieß es u.a.:
„ Die Israelitische Gemeinde Wollenberg ist Eigentümerin der Synagoge Flurstück Nr. 93 mit 2,38 ar. Von diesem Gebäude stehen nur noch die Grundmauern, die aber auch beseitigt werden. Da die Grundmauern noch beseitigt werden müssen, ist ein Kaufpreis nicht zu bezahlen. Die Israelitische Gemeinde zahlt vielmehr an die Gemeinde Wollenberg eine Entschädigung von 250 Reichsmark. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Abräumungsarbeiten einen Kostenaufwand von 300 Reichsmark verursachen und der Platz für die Gemeinde einen Werk von 50 Reichsmark hat."
Zuletzt suchten die Wollenberger Juden die Gottesdienste in Hüffenhardt auf.
Im Oktober 1940 mussten sich die etwa zehn noch in Wollenberg lebenden jüdischen Bewohner den Deportationstransporten ins südfranzösische Gurs anschließen; fast alle kamen ums Leben bzw. gelten als verschollen.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." fielen 22 gebürtige bzw. länger am Ort wohnhaft gewesene Juden Wollenbergs dem Holocaust zum Opfer (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/wollenberg_synagoge.htm).
Das ehemalige Synagogengebäude in Wollenberg wurde vermutlich in den 1960er Jahren völlig abgebrochen. Ein Gedenkstein beim evangelischen Gemeindehaus erinnert an die letzten jüdischen Einwohner Wollenbergs, die 1940 nach Gurs deportiert wurden.
Im Rahmen des landesweit durchgeführten Mahnmal-Projektes zur Erinnerung an die Deportation der badischen Juden nach Gurs haben Jugendliche der Evang. Christusgemeinde einen Memorialstein erstellt (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).
Mit der Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ soll an die Deportationsopfer aus Wollenberg erinnert werden.
Diese beiden Stolpersteine für das Ehepaar Karl u. Jenny Maier befinden sich in Minden; denn 1940 verzog es aus Wollenberg und nahm seinen Wohnsitz in Hausberge bzw. Minden.
Anmerkung: In der evangelischen Kirche in Wollenberg sind im Holzschnitzwerk der Kanzel die beiden Evangelisten Matthäus und Lukas in typisch jüdischer Kleidung dargestellt.
die beiden Evangelisten (Aufn. Bernd Göller)
Im benachbarten Hüffenhardt war nach dem Dreißigjährigen Krieg eine sehr kleine jüdische Gemeinde beheimatet; die damalige Ortsherrschaft, die Adelsfamilie von Gemmingen-Gutenberg, hatte die Ansiedlungen jüdischer Familien unterstützt. Die in Hüffenhardt lebenden Juden - um 1890 waren es etwa 40 Personen - lebten vorwiegend vom Landesproduktenhandel. Ihre gottesdienstlichen Zusammenkünfte hielten sie in einem kleinen Betsaal an der Ecke Reisengasse/Ecke Bohnengasse an, der zuletzt auch von Wollenberger Juden aufgesucht wurde.
Zu Beginn der NS-Herrschaft lebten noch 17 jüdische Personen im Dorf. Während des Novemberpogroms von 1938 wurde das Synagogengebäude von SA-Angehörigen eingerissen und dem Erdboden gleichgemacht; auch Schüler unter Leitung ihres Lehrers nahmen an der „Aktion“ teil. Die Kultgeräte wurden in einer „Feierstunde“ vor aller Augen verbrannt. Zehn gebürtige bzw. längere Zeit im Dorf lebende Juden gehören zu den Opfern der Shoa.
vgl. Hüffenhardt (Baden-Württemberg)
Weitere Informationen:
"Das Mohelbuch des Rabbi Seligmann von Hüffenhardt“, in: „Der Israelit“ vom 26.11.1936
Rudolf Petzold, Die Wollenberger Judenschaft, aus: Wollenberger Heimatbuch, o.J.
F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Band 19, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 137 f. und S. 300/301
W.Angerbauer/H.G. Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis u. Stadt Heilbronn. Geschichte - Schicksale - Dokumente, Hrg. Landkreis Heilbronn 1986, S. 238 - 244
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 221
Michael Konnerth, Der Judenfriedhof bei Bad Rappenau-Heinsheim - eine der größten jüdischen Begräbnisstätten in Deutschland, Hrg. Kur- und Klinikverwaltung Bad Rappenau, o.J.
Wollenberg, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 37/38 und S. 220/221
Rudolf Petzold, Die jüdische Gemeinde in Wollenberg, in: "Bad Rappenauer Heimatbote", No. 23/Dez. 2012, S. 7 - 19