Wörrstadt (Rheinland-Pfalz)

Datei:Rheinhessen 1905.pngDatei:Verbandsgemeinden in AZ.svg Straßen in Wörrstadt - Straßen- und OrtsinformationenWörrstadt ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 8.200 Einwohnern im nördlichen Teil des Landkreises Alzey-Worms in Rheinland-Pfalz – ca. 25 Kilometer südwestlich von Mainz gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, CCO und Kartenskizze 'Landkreis Alzey-Worms', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Ansiedlungen von Juden im Spätmittelalter im Dorfe Wörrstadt fanden in den 1570er Jahren ihr Ende, als Kurfürst Friedrich III (1559-1576) alle jüdischen Bewohner aus seinem gesamten Herrschaftsbereich vertreiben ließ. Ab Mitte des 18.Jahrhunderts lebten wieder wenige jüdische Familien dauerhaft in Wörrstadt - und zwar in der Obergasse (in Richtung Alzey); sie unterstanden den Schutzherrschaften des Fürsten von Salm-Kyrburg und des Grafen von Grumbach. Die Juden Wörrstadts verdienten zu Beginn des 19.Jahrhunderts ihren Lebensunterhalt zumeist im Viehhandel; später spielte auch der Weinhandel eine Rolle.

Zunächst hatte ein Betraum in einem Privathaus als gottesdienstlicher Versammlungsort gedient; als der Eigentümer diesen Raum für eigene Zwecke nutzen wollte, kam es innerhalb der jüdischen Gemeinde zu heftigen Auseinandersetzungen, die durch das Eingreifen des Bürgermeisters beendet wurden. Daraufhin erwarb die Gemeinde in den 1830er Jahren ein Haus in der Pfarrgasse, ließ es umbauen und richtete hier ihre Synagoge ein; dieser war auch eine Mikwe angeschlossen.

Für religiös-rituelle Aufgaben der Gemeinde stand zeitweise ein Lehrer zur Verfügung.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20187/Woerrstadt%20AZJ%2026081873.jpg  

Stellenanzeigen aus "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 26. Aug. 1873 und der Zeitschrift „Der Israelit“ vom Febr. 1876

Seit den 1870er Jahren verfügte die kleine jüdische Gemeinschaft über ein neu angelegtes Friedhofsareal, das an das kommunale angrenzte und ein älteres Begräbnisgelände am Kehlberg ablöste.

Die Gemeinde Wörrstadt unterstand nach 1927 dem Rabbinatsbezirk Alzey.

Juden in Wörrstadt:

         --- 1763 ............................   5 jüdische Familien,

    --- 1804 ............................  21 Juden,

             ............................ 415   “  ,*   * Kanton Wörrstadt

    --- 1808 ............................  34   “  ,

    --- 1824 ............................  58   “  ,

    --- 1830 ............................  62   “  ,

    --- 1861 ............................ 118   “   (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1880 ............................  98   “  ,

    --- 1895 ............................  99   “  ,

    --- 1900/05 .........................  72   “  ,

    --- 1931 ............................  65   “  ,

    --- 1933 ............................  44   “   (ca. 2% d. Bevölk.),

    --- 1940 ............................  keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 414

und                 Ralf Zahn, Die Geschichte der jüdischen Gemeinden in Wörrstadt und Nieder-Wiesen

Ak Wörrstadt in Rheinland Pfalz, SchulstraßeSchulstraße in Wörrstadt - hist. Postkarte (Abb. aus: akpool.de)

 

Die Wörrstädter Juden lebten zu Beginn des 20.Jahrhundert in recht guten wirtschaftlichen Verhältnissen, wobei der Weinhandel eine dominierende Rolle spielte. Sie waren zumeist in die kleinstädtische Gesellschaft eingebunden, was ihre Mitgliedschaften in lokalen Vereinen dokumentiert. Zu Beginn der NS-Herrschaft lebten in Wörrstadt noch ca. 45 jüdische Bewohner. Erste Auswanderungen jüdischer Familien zwischen 1936 und 1938 waren die Folge zunehmender wirtschaftlicher Repressionen und antisemitischer „Aktionen“; so wurden beim Karnevalsumzug 1938 auch „Israels Auszug aus Wörrstadt“ dargestellt.

Am Vorabend der „Reichskristallnacht“ wurden mehrere Geschäfts- und Wohnhäuser Wörrstädter Juden von SA-Angehörigen erstürmt, Mobiliar zertrümmert und auf die Straße geworfen; auch kam es vereinzelt zu Misshandlungen von jüdischen Bewohnern. Am nächsten Morgen wurde das Synagogengebäude in Brand gesteckt; nur das Eingreifen der Nachbarn und der Feuerwehr verhinderte Schlimmeres. Danach erwarb die Kommune für 600,- RM das Gebäude, das nun zum Wohnhaus umgebaut wurde. Gegen Ende der 1930er Jahre verließen weitere jüdische Familien Wörrstadt; während ein Teil emigrierte, zogen andere in größere Städte innerhalb Deutschlands. Bereits 1939 lebten keine jüdischen Personen mehr in Wörrstadt.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20388/Woerrstadt%20KK%20MZ%20Berney%20Irmgard.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20388/Woerrstadt%20KK%20MZ%20Berney%20Siegfried.jpg

J-Kennkarten von gebürtigen Wörrstädter Juden – ausgestellt 1939 in Mainz

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." fielen 18 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Juden Wörrstadts dem Holocaust zum Opfer (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/woerrstadt_synagoge.htm).

 

Im Jahre 1998 wurde in der Pfarrgasse eine Gedenktafel angebracht, die an die ehemaligen jüdischen Bewohner von Wörrstadt erinnert.

Vom alten jüdischen Friedhof (am Eichenring) haben nur noch sieben Grabsteine die Zeiten überdauert.

Denkmalzone Alter Jüdischer Friedhof Alter Friedhof in Wörrstadt (Aufn. N., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Auf der um 1870 neu angelegten jüdischen Begräbnisstätte Wörrstadts – in unmittelbarer Nähe des Kommunalfriedhofes – sind noch ca. 60 Grabsteine vorhanden.

    neuer Friedhof (Aufn. A., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 de)

 

Voraussichtlich werden 2024 in Wörrstadt die ersten sog. „Stolpersteine“ verlegt werden, die an Angehörige jüdischer Familien erinnern, die der Verfolgung des NS-Regimes ausgesetzt waren. Im Vorfeld der geplanten Verlegung haben Schüler/innen der Georg-Forster-Gesamtschule zu den betreffenden Personen Recherchen angestellt.

 

 

Auch in den heutigen Wörrstädter Ortsteilen Partenheim, Schornsheim und Wallertheim gab es bis Anfang der 1930er Jahre kleine israelitische Gemeinden.

[vgl.  Partenheim, Schornsheim und Wallertheim (Rheinland-Pfalz)]

 

 

Im nahen Eichloch - später umbenannt in Rommersheim - bestand im 19.Jahrhundert eine autonome, sehr kleine jüdische Gemeinde, die jemals kaum mehr als 25 Angehörige zählte. An Einrichtungen bestanden ein Betraum und ein kleines Begräbnisgelände ("Am Kehlberg"), auf dem die letzte Beisetzung 1909 erfolgt ist. Die letzte jüdische Familie verließ drei Jahre später den Ort; die Gemeinde war bereits Jahre zuvor aufgelöst und das Bethaus an die Ortsgemeinde veräußert worden.

Auf dem ca. 500 m² großen Friedhofsgelände findet man heute neun Grabsteine.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2059/Rommersheim%20Friedhof%20101.jpg Grabsteine des Friedhofs in Rommersheim (Aufn. J. Hahn, 2005)

 

 

Im nordöstlich Wörrstadts gelegenen Dorf Vendersheim lebte auch eine kleine jüdische Gemeinschaft, deren Wurzeln im 18.Jahrhundert liegen und die sich um 1840 aus maximal ca. 50 Angehörigen zusammensetzte; um 1900 wohnten im Dorf nur noch 20 Juden. Neben einem Betraum in einem Privathaus einer jüdischen Familie (in der Obertorstraße) gab es auch eine Religionsschule. Verstorbene wurden auf dem jüdischen Friedhof in Jugenheim beerdigt. Die kleine Gemeinde gehörte zum Rabbinat Alzey.

Obwohl längst kein Minjan mehr zustande kam, blieb die Gemeinde bis in die 1930er Jahre offiziell autonom, obwohl diese nur noch sechs (!) Angehörige zählte (Anm.: Bemühungen, sich der Gemeinde Partenheim anzuschließen, hatten sich bereits zu Beginn des Jahrhunderts zerschlagen).  Auch das schon lange Jahre unbenutzte Gebäude, in dem sich Betsaal und Religionsschule befunden hatten, wurde erst 1935 veräußert.

 http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20388/Vendersheim%20KK%20MZ%20Simon%20Johanna.jpgJ-Kennkarte einer aus Vendersheim stammenden Jüdin (ausgestellt 1939 in Mainz)

Die letzte Familie verließ 1939 den Ort. Nachweislich sind acht gebürtige Vendersheimer Juden Opfer der „Endlösung“ geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/vendersheim_synagoge.htm).

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 414/415 (Wörrstadt) und S. 320 (Vendersheim)

Ernst Klug, Wörrstadt - Die Geschichte einer kleinen Stadt, Wörrstadt 1972

Ralf Zahn, Die Geschichte der jüdischen Gemeinden in Wörrstadt und Nieder-Wiesen, in: "Alzeyer Geschichtsblätter", Heft 14/1979, S. 142 - 146

Dieter Hoffmann, “ ... wir sind doch Deutsche.” - Zu Geschichte und Schicksal der Landjuden in Rheinhessen, Hrg. Stadt Alzey, Alzey 1992

Wörrstadt, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Vendersheim, in: alemannia-judaica.de

Rommersheim (bis 1931 Eichloch), in: alemannia-judaica.de

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 374 (Vendersheim) und S. 395 (Wörrstadt)

Wolfhard Klein, Die Synagogen in Essenheim, Jugenheim, Nieder-Saulheim, Partenheim, Stadecken und Vendersheim, hrg. vom Förderverein der Synagoge Weisenau, No. 2/2022

Tjada Huchtkötter Red.), Gegen das Vergessen. Zwölf neue Stolpersteine für Wörrstadt, in: SWR aktuell vom 13.12.2023