Wörth (Unterfranken/Bayern)

Datei:Wörth am Main in MIL.svg Wörth am Main ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 4.800 Einwohnern im unterfränkischen Landkreis Miltenberg - gelegen im Nordwesten Bayerns ca. 25 Kilometer südlich von Aschaffenburg (Kartenskizze 'Landkreis Miltenberg', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In Wörth/Main gab es bis in die 1930er Jahre eine winzige jüdische Gemeinde.

Das mittelalterliche Wörth am Main – Ausschnitt eines Gemäldes (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Einzelne Juden lebten bereits im Spätmittelalter in Wörth. Laut einer Urkunde von 1429 sollen auf Anweisung des damaligen Mainzer Erzbischofs einige Juden eingesperrt und deren Besitz beschlagnahmt worden sein.

Seit dem ausgehenden 16.Jahrhundert lassen sich dann im Ort über einen längeren Zeitraum hinweg zwei Schutzjuden-Familien nachweisen; dabei achtete die Bürgerschaft stets darauf, keine weiteren Juden aufnehmen zu müssen.

Die Anfänge der stets kleinen israelitischen Gemeinde in Wörth sind im 18.Jahrhundert zu suchen. Bei der Erstellung der Matrikel (1817) waren sechs Familienvorstände aufgelistet; maximal gehörten der Gemeinde ca. 40 Personen (1835) an.

Ein Betraum in einem Privathaus, den auch Juden aus Trennfurt aufsuchten, wurde mit der Vergrößerung der Zahl der Gemeindeangehörigen als zu beengt empfunden, so dass man nach einem Ersatz suchte. Anfang der 1840er Jahre kaufte die jüdische Gemeinschaft dann ein Haus und ließ es zur Synagoge umbauen. Die Kosten überstiegen die finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde, so dass diese sich verschulden musste; eine vom bayrischen König gestattete Kollekte für den Bau der Synagoge hatte nicht den erhofften finanziellen Erfolg gehabt.

Synagoge in Wörth, zweites Haus von links (Aufn. aus: W. Trost, Chronik)

Die Wörther Synagoge suchten auch weiterhin die Glaubensgenossen aus Trennfurt auf.

Gemeinsam mit kleinen Nachbargemeinden hatte man zeitweilig einen Religionslehrer verpflichtet, der die rituellen Aufgaben besorgte.

Zwei Anzeigen in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19.Okt. 1903 und vom 19.Mai 1904

Verstorbene Gemeindeangehörige wurden auf dem jüdischen Friedhof in Reistenhausen begraben.

Die winzige Gemeinde gehörte zum Distriktrabbinat Aschaffenburg.

Juden in Wörth:

--- 1573 ........................  2 Schutzjuden-Familien,

--- 1661 ........................  2      “         “    ,

--- 1699 ........................  4      "         "    ,

--- 1722 ........................  4      “         “    ,

--- 1779 ........................  3      “         “    ,

--- 1816 ........................  8 jüdische Familien (mit 26 Pers.),

--- 1835 ........................  8     “       “    ,

--- 1873 ........................  5     “       “    ,

--- 1882 ........................ 27 Juden,

--- 1900 ........................ 23   “  ,

--- 1910 ........................ 26   “  ,

--- 1924 ........................ 23   "  ,

--- 1933 ........................ 18   “  ,

--- 1939 ........................  2   "  ,

--- 1942 (Sept.) ................  eine Jüdin.

Angaben aus: Synagogen-Gedenkband Bayern (Unterfranken), Band III/1, Mehr als Steine …, S. 478

Ansicht von Wörth um 1900 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Zu Beginn der NS-Zeit wurden in Wörth kaum noch 20 Bewohner mosaischen Glaubens gezählt, die alsbald offenen Anfeindungen ausgesetzt waren. Zwischen 1934 und 1938 verließen etliche den Ort: einige emigrierten, andere verzogen in größere deutsche Städte.

Beim Novemberpogrom 1938 wurde in die Häuser der nur noch sehr wenigen jüdischen Ortsbewohner eingedrungen und die Wohnungseinrichtungen demoliert; die Synagoge wurde mitsamt der Ritualien zerstört, das herausgerissene Inventar in den Main geworfen. Bereits tags zuvor hatte der Lehrer August Laudenbacher seine Schüler veranlasst, die Fenster der Synagoge einzuwerfen und die Tür einzutreten. Anfang Dezember 1938 berichtete der Wörther Bürgermeister dem Bezirksamt in Obernburg, dass infolge der „Empörungen und Demonstrationen des Volkes … die hiesige Synagoge in Mitleidenschaft gezogen wurde“. Im folgenden Jahr wurde dann das Gebäude auf Kosten der jüdischen Familien abgebrochen.

Nach der Enteignung ihres Grundbesitzes (1939) verließen sechs von den letzten acht jüdischen Bewohnern ihren Heimatort. Die letzte Wörther Jüdin (Jenny Hart) war wegen ihrer Ehe mit ihrem „arischen“ Partner von einer Deportation verschont geblieben und überlebte die Kriegsjahre im Ort

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." fielen zwölf aus Wörth stammende bzw. länger am Ort wohnhaft gewesene jüdische Bürger der NS-Gewaltherrschaft zum Opfer (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/woerth_synagoge.htm).

Ende der 1940er Jahre wurden neun Personen aus Wörth beim Landgericht in Aschaffenburg wegen Landfriedensbruch angeklagt; während drei verurteilt wurden, gingen die übrigen straffrei aus.

 

Eine im Jahre 2017 angebrachte Erinnerungstafel am alten Rathaus - auf ihr sind die Standorte der Wohnhäuser der jüdischen Familien gekennzeichnet – soll auf die jüdische Vergangenheit des Ortes aufmerksam machen.

                           Gedenktafel (Aufn. Matthias Rau, 2017) http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20419/Woerth%20Sto%2004.jpg

Im gleichen Jahr wurden an vier Standorten in der Altstadt insgesamt 16 sog. „Stolpersteine“ verlegt.

Bertha Berliner.jpgFrieda Berliner.jpgSamuel Berliner.jpgWalter berliner.jpgKathinka Berliner.jpgHermann Berliner.jpgMathel Berliner.jpg  verlegt für Angehörige der Fam. Berliner, Rathausstraße  (Aufn. G. 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Seit jüngster Zeit gehört auch Wörth/Main zu den Kommunen, die mit einer „Gepäck-Skulptur‘ am zentralen unterfränkischen Deportationsprojekt beteiligt sind. Unter Anleitung des Bildhauers Alexander Schwarz haben Schüler/innen der Mittelschule Wörth die beiden identischen Rucksack-Objekte geschaffen. Während eines an der zentralen Gedenkstätte am Würzburger Hauptbahnhof steht, befindet sich die Doublette am Alten Rathaus von Wörth.

                 "Rucksack-Skulpturen" (Aufn. Stadt Wörth a. Main, 2023)

 

 

 

Weitere Informationen:

Baruch Z.Ophir/F.Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München 1979, S. 139

Werner Trost, Wörth am Main. Chronik einer fränkischen Kleinstadt in vier Bänden, hrg. vom Bürgerverein e.V. Wörth, 1987/1999

Werner Trost, 1933 lebten 18 Juden in Wörth. 1945 gab es noch nur noch eine Jüdin. Sie war die Frau eines „Ariers“, in: "Spessart", No.11/1988, S. 8 - 14

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2.Aufl., München 1992, S. 139

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 191

Wörth am Main, in: alemannia-judaica.de (mit Text- u. Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Axel Töllner (Bearb.), Wörth/Main, in: W.Kraus/H.-Chr.Dittscheid/G.Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 472 - 481

N.N. (Red.), Gedenken an Schicksal der jüdischen Bevölkerung: Stolpersteine in Wörth, in: “Main-Echo” vom 24.4.2017

Matthias Rau/Karin Schirmmeister (Red.), Informationen zu den Personen, für die „Stolpersteine“ verlegt wurden und ihre Familien, als PDF-Datei vorhanden unter: alemannia-judaica.de/images/Images 419/Woerth Stolpersteine Informationen.pdf

Auflistung der in Wörth verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Wörth_am_Main

Stadt Wörth a. Main (Red.), Ein steinernes Gepäckstück gegen das Vergessen, Pressemitteilung vom 15.6.2023