Wreschen (Posen)

Kreis Gnesen - Wikiwand Die etwa 50 Kilometer östlich der Provinzhauptstadt Posen bzw. südlich von Gnesen gelegene Stadt Wreschen gehörte zwischen 1818 und 1920 sowie 1939 und 1945 zum preußisch-deutschen Landkreis Wreschen, anfangs ‘Peysern’ genannt. Von 1920 bis 1939 sowie nach 1945 war/ist die Stadt Teil des polnischen Staates; sie heißt Września und besitzt derzeit ca. 30.000 Einwohner (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org gemeinfrei).

 

Die Einwohner des Ortes waren überwiegend Polen, ab Mitte des 17. Jahrhunderts siedelten sich auch Deutsche an; diese blieben aber hier stets eine Minderheit. Neben einer katholischen und evangelischen Kirchengemeinde gab es im Ort auch eine jüdische Kultusgemeinde, deren Anfänge bis in die Zeit der Stadtgründung Mitte des 14.Jahrhunderts zurückreichen und deren Angehörige einen entscheidenden Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung Wreschens hatten. So sollen bereits 1579 ca. 75 jüdische Steuerzahler in Wreschen registriert gewesen sein.

Die relativ große jüdische Gemeinde war stark von den Verfolgungen zwischen 1648 und 1651 betroffen, konnte sich aber in der Folgezeit wieder erholen.

Aus dem Jahre 1710 ist der Bau einer Synagoge belegt. 1873 brannte bei einem Stadtbrand auch das hölzerne Synagogengebäude nieder; alle Unterlagen aus der Frühzeit der Gemeinde sollen dabei vernichtet worden sein. 1875 errichtete die Gemeinde am Standort der zerstörten Synagoge einen massiven Nachfolgebau.

                     neue Synagoge in Wreschen (hist. Aufn., um 1920 ?)

1870 war eine jüdische Elementarschule eröffnet worden; zudem gab es noch eine Religionsschule. Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählte auch ein eigener Friedhof; der alte stammt bereits aus dem 16.Jahrhundert; ein neues Areal wurde um 1870 angelegt. Die heute noch vorhandenen Grabsteine geben aber keinerlei Hinweise auf historische Fakten, da die allermeisten Inschriften unleserlich sind. Ihren zahlenmäßigen Höchststand erreichte die Wreschener Judenschaft Mitte des 19.Jahrhunderts, als hier mehr als 1.300 Juden lebten; dies entsprach damals mehr als 50% der Gesamtbevölkerung.

Anfang des 20.Jahrhunderts setzte sich die Wreschener Synagogengemeinde nur noch aus knapp 500 Angehörigen zusammen, ca. 10% der Gesamtbevölkerung. Abwanderung in größere Städte und Emigration - vor allem in die USA - ließen auch in den beiden Folgejahrzehnten die Gemeinde personell weiter schrumpfen.

                   Markt in Wreschen (hist. Postkarte, um 1900)

Um 1920 lebten noch etwa 150 Juden im Ort (ca. 2% d. Bev.); diese Abwanderungstendenz verstärkte noch der wachsende Antisemitismus in der Weimarer Zeit.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges lebten in Wreschen nur noch 60 Juden; sie wurden im Oktober 1939 „ins Generalgouvernement ausgesiedelt”. Monate nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Wreschen wurde 1940 die Synagoge gesprengt.

Abb. der Synagoge aus den 1930er Jahren

Im Kreis Wreschen wurden von den NS-Behörden ab 1941 Zwangsarbeitslager für Juden errichtet, in denen viele ums Leben gekommen sind.

 

Seit 2002 erinnert eine zweisprachig abgefasste Inschrift auf einer Gedenktafel – mit Abbildung der Synagoge – an die einstige jüdische Gemeinde.

 

Gedenktafel mit reliefartiger Darstellung der Synagoge (Aufn. aus: sztetl.org.pl und pl.wikipedia.org)

Grabsteinfragmente sind heute die einzigen Hinweise auf den jüdischen Friedhof.

 

  Aus Wreschen stammte der deutsch-jüdische Komponist Louis Lewandowski (geb. 1821), Sohn einer in ärmlichen Verhältnissen lebenden Familie. Bereits mit zwölf Jahren verließ er sein Zuhause und ging nach Berlin, um hier seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Als Gehilfe eines Kantors kam er mit synagogaler Musik in Berührung; in der Folgezeit unterstützten Mäzene Lewandowski bei seinen musikalischen Studien. Im Laufe seines beruflichen Schaffens erwarb er sich – was die synagogale Musik anging – einen hervorragenden Ruf; als langjähriger Chordirigent der jüdischen Gemeinde wurde er 1865 zum Kgl. Musikdirektor ernannt. Eigene Kompositionen konnte er dann an seiner neuen Wirkungsstätte, der Synagoge an der Oranienburger Straße, in den Gottesdienst einbringen. Anlässlich seines 50jährigen Dienstjubiläums ehrte ihn die Akademie der Künste damit, dass er zum Professor der Musik ernannt wurde. Louis Lewandowski starb 1894 in Berlin.

 

 

 

In Peisern a.d. Warthe (poln. Pyzdry, derzeit 3.200 Einw.) – wenige Kilometer südlich von Wreschen – war auch eine jüdische Gemeinde existent, die zu Beginn des 19.Jahrhunderts ca. 900 Angehörige zählte und damit fast 30% der Einwohnerschaft des kleinen Städtchens ausmachte. In etwa die gleiche Zahl jüdischer Personen lebte unmittelbar vor Kriegsbeginn (1939) in der Kleinstadt. Zwischenzeitlich war aber die Zahl der jüdischen Bewohner erheblichen Schwankungen unterworfen gewesen; so hatten z.B. um 1920 nur etwa 400 Personen mosaischen Glaubens hier gelebt.

Eine allererste Niederlassung von Juden soll es hier bereits im ausgehenden 14.Jahrhundert gegeben haben. Im 17. und 18.Jahrhundert wohnten die jüdischen Familien in einem separaten Viertel.

Das aus den 1790er Jahren stammende und gegen Ende des 19.Jahrhunderts umfassend umgestaltete Synagogengebäude wurde zu Beginn des Zweiten Weltkrieges teilzerstört. Nach 1945 diente das Gebäude als Lagerhalle. Im Juni 1940 wurden die jüdischen Bewohner deportiert; die allermeisten wurden ermordet. Der jüdische Friedhof war während der NS-Zeit eingeebnet worden; Grabsteine waren zu Uferbefestigungen zweckentfremdet worden. In jüngster Zeit konnten einige Grabmale bzw. –relikte geborgen werden; diese sind heute im Museum zu finden.


  Relikte von Grabsteinen (Aufn. MOs 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Auf dem ehemaligen Friedhofsgelände hat man 1993 ein kleines Lapidarium erstellt, das aus Grabsteinrelikten zusammengefügt wurde.

 

 

 

In Witkowo (poln. Witkowo, derzeit ca. 8.000 Einw.) – nordöstlich von Wreschen gelegen – bestand eine jüdische Gemeinde nachweislich seit der Mitte des 18.Jahrhunderts. Um 1815 stellte sie mit ca. 650 Angehörigen mehr als 40% der Einwohnerschaft des Ortes. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts war ihre Zahl auf ca. 270 Personen zurückgefallen; um 1850 hatte sie ihr Maximum mit mehr als 1.000 Personen erreicht. Bei Beginn des Zweiten Weltkrieges sollen hier noch ca. 400 Juden gelebt haben.

Bei einem Brand wurde 1844 die bestehende Synagoge vernichtet; wenige Jahre später errichtete man eine neue. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das fast 100 Jahre alte Gebäude zerstört. Seit frühester Ansässigkeit war auch ein Begräbnisgelände vorhanden, das außerhalb auf einem Hügel sich befand. Das Gräberfeld wurde 1941/1942 dem Erdboden gleichgemacht.

                                 Synagoge in Witkowo (Farblithographie)

 

 

 

Weitere Informationen:

Hermann Simon, „Liebe macht das Lied unsterblich!“ Der Komponist Louis Lewandowski, in: „Tuet auf die Pforten". 1995, S. 129 – 136

Andreas Nachama, Der Mendelssohn der Synagogalmusik. In memoriam Louis Lazarus Lewandowski, in: "Die Musik des osteuropäischen Judentums", Suhrkamp, Frankfurt/Main 1997, S. 32 - 37

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 3), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 1466/1467

Auskünfte der Stadt Wrzesnia (Polen), 2004

Internetpräsentation einer in den USA lebenden Familie aus Wreschen, online abrufbar unter: buyerstierfamily.org

Jewish families from Wrzesnia (Wreschen), online abrufbar unter: eni.com/projects/Jewish-Families-from-W...

Września, in: sztetl.org.pl

K. Bielwaski (Red.), Pyztry, in: kirkuty.xip.pl