Zeven (Niedersachsen)

Datei:Zeven in ROW.svg Zeven ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 14.000 Einwohnern im niedersächsischen Landkreis Rotenburg; sie bildet zusammen mit den Gemeinden Elsdorf, Gyhum und Heeslingen die Samtgemeinde Zeven – zwischen Bremen und Hamburg gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Rotenburg/Wümme', TUBS 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Erste schriftliche Belege für die Anwesenheit bzw. Ansässigkeit von Juden in der Region um Zeven stammen aus der Zeit um 1820; die jüdischen Familien fristeten hier ein recht armseliges Leben.

In den 1840er Jahren bildeten die Ortschaften Zeven, Rhade, Selsingen und Sittensen den „Synagogenbezirk Zeven“, der nur wenige Familien zählte; damit war die Gemeinde in Zeven die kleinste im Bezirk Stade. Sie wurde 1858 durch die Bildung der „Synagogengemeinde Bremervörde-Zeven“ aufgelöst. Die Zahl der jüdischen Einwohner Zevens war durch Zu- und Abwanderungen in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts immer wieder Schwankungen unterworfen.

Er wurde 1858 durch die Bildung der „Synagogengemeinde Bremervörde-Zeven“ aufgelöst. Die in Zeven und Umland ansässigen Juden suchten danach weiterhin ihren Betraum in einem Privathause auf und begruben seit den 1860er Jahren ihre Verstorbenen auf ihrem eigenen Begräbnisplatz in der „Kleinen Ahe“.

Juden in Zeven:

    --- 1836 ..........................  12 Juden,*         * im Amt Zeven

    --- 1848 ..........................  22   “  ,**       ** Synagogengemeinde Zeven

    --- 1864 ..........................   7   "  ,*

    --- 1870 ..........................  10   “  ,*

    --- 1885 ..........................  20   "  ,*

    --- 1905 ..........................  11   "  ,*

    --- 1925 ..........................  19   "  ,*

    --- um 1930 .......................   6 jüdische Familien,

    --- 1938 ..........................   5     “       “    ,

    --- 1941 (Dez.) ...................   keine.

Angaben aus: Elfriede Bachmann, Zur Geschichte der Juden in Zeven und Umgebung, Zeven 1992

und                 Jürgen Bohmbach (Bearb.), Zeven, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Band 2, S. 1599

 

Zeven. Lange Straße mit Gasthof zur Post Lange Straße in Zeven (hist. Postkarte, aus: nailizakon.com)

Mit dem Aufschwung der Landwirtschaft ließen sich nach 1900 mehrere jüdische Viehhändler und ihre Familien in Zeven nieder. Die Familie Neugarten gehörte zu den größten Viehhändlern in Zeven; in der Langen Straße betrieb sie eine Schlachterei (eine sog. Freibank) und einen Viehhandel.

 Viehhändler in Zeven um 1930 (Privatfoto Fam. Neugarten))

Mit der NS-Machtübernahme 1933 verschlechterten sich die Lebensbedingungen für die wenigen Zevener Juden erheblich; sie konnten zwar noch bis ins Frühjahr 1938 im Viehhandel tätig sein, doch war ihr Wohnrecht in Zeven ständig in Frage gestellt. Aus einem Schreiben des NSDAP-Ortsgruppenleiters Zeven vom 5.10.1937:

E i l t   s e h r !

... Ich stelle hiermit den Antrag, sämtliche z.Zt. in Zeven wohnenden Juden sofort auszuweisen und durch eine zu erlassende Polizeiverfügung bzw. Gemeindesatzung auch den weiteren Zuzug von Juden nach Zeven zu verbieten. ...

Ferner ist unsere Stadt Zeven Luftkurort ... Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß das Auftreten der Juden in Sommerfrischen und ähnlichen Orten meist aufdringlich ist, daß der Besuch jüdischer Familien zu einem weiteren Zuzug ihrer Rassegenossen führt und daß ihr Verhalten abstoßend auf die deutschen Volksgenossen wirkt, ...

 

Auf Druck der NSDAP kamen die Geschäfte der jüdischen Viehhändler schließlich 1937 fast völlig zum Erliegen. Auf eine Anfrage des Landrates in Bremervörde zur Erfassung von jüdischen Gewerbebetrieben meldete der Zevener Bürgermeister am 18.Aug. 1938, dass keine Juden mehr im Viehhandelsgewerbe tätig waren.

Noch im Februar 1937 (!) wurde in Zeven ein neuer jüdischer Betsaal in der Gartenstraße eingeweiht; der Grund dafür war, dass sich die Zevener Juden von der Bremervörder Gemeinde getrennt hatten.

Betraum im Privathaus von Erich Neugarten (Aufn. 1937, Staatsarchiv Bremen)

*Anm.: Der Aron ha-Kodesh (Thoraschein) stammte von der inzwischen aufgelösten jüdischen Gemeinde aus dem ostpreußischen Deutsch-Eylau.

In der „Reichskristallnacht“ im November 1938 wurden alle 21 jüdischen Bewohner von Zeven gewaltsam aus ihren Wohnungen geholt, auf einen offenen Lastwagen geladen und unter Gehupe durch die Straßen gefahren, ins Gerichtsgefängnis nach Gestemünde gebracht und dort in einem Kellerraum eingesperrt. Frauen und Kinder ließ man dann frei, die Männer verschleppte man danach über Wesermünde in das KZ Sachsenhausen. In der „Zevener Zeitung“ vom 11.11.1938 hieß es dazu:

Sämtliche Juden in Zeven verhaftet

Auch in Zeven wurden gegen 5 Uhr die Juden aus den Betten geholt, verhaftet und mit ihren Frauen und Kindern unter Bewachung in dem Neugartenschen Hause in der Gartenstraße vorläufig festgesetzt. Die in diesem Hause in einem großen Zimmer vollkommen eingerichtete Synagoge wurde ausgeräumt und mit einem Wagen zum neuen Marktplatz gebracht, wo alle Einrichtungsgegenstände öffentlich verbrannt wurden als Zeichen, daß die bisherige Toleranz den Juden gegenüber ein Ende gefunden hat. Sämtliche Einwohner begrüßen es, daß unsere Stadt von diesen artfremden internationalen Juden endlich gesäubert wird, .... Auch in sämtlichen übrigen Städten und Gemeinden des Kreises ging die SA. in gleicher Weise unter dem Beifall der Bevölkerung vor.

Der im Hause der jüdischen Familie Neugarten in der Gartenstraße eingerichtete Betraum wurde von SA-Angehörigen demoliert und geplündert; die restliche Einrichtung schaffte man auf das Gelände des Viehmarktes und verbrannte sie dort öffentlich. Auf Weisung ihrer Lehrer mussten einige Schulklassen dem „Schauspiel“ beiwohnen.

          

Inventar des Betsaals, aufgeschichtet zur Verbrennung auf dem Marktplatz (Abb. Gedenkstättenverein Sandbostel)

Auf dem jüdischen Friedhof wurden Grabsteine umgeworfen.

Hauptverantwortlicher für die Ausschreitungen in Zeven war der überzeugte Nationalsozialist und SA-Sturmführer Wilhelm Schnase. (Anm. Schnase war einer der wenigen am Pogrom in Zeven Beteiligten, der nach Kriegsende vor Gericht gestellt und zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt wurde.)

Mitte Dezember wurden die ins KZ Sachsenhausen verschleppten Männer auf freien Fuß gesetzt, nachdem sie eine Erklärung unterschrieben hatten, in der sie eine alsbaldige Auswanderung zusagen mussten.

Einige jüdische Familien konnten noch vor Kriegsbeginn rechtzeitig emigrieren; zwei sind vermutlich im November 1941 nach Minsk deportiert worden. 19 Personen jüdischen Glaubens aus Zeven und Umgebung wurden Opfer der „Endlösung“.

[vgl. Bremervörde (Niedersachsen)]          

 

Angehörige zweier jüdischer Familien kehrten nach dem Krieg wieder nach Deutschland zurück: Sami Werner Blumert (geb. 1923), der mit seiner Familie ins Ghetto Minsk deportiert worden war und dort überleben konnte, betrieb nach seiner Rückkehr in Zeven ein Taxi-Unternehmen. Die nach Kolumbien emigrierte Familie Wolff kehrte Ende der 1950er Jahre in ihre alte Heimat zurück.

Der während der NS-Zeit geschändete kleine jüdische Friedhof in der Kleinen Ahe wurde an den 1950er Jahren instand gesetzt. Seit 1988 erinnert eine kleine Gedenktafel an die ehemaligen jüdischen Bewohner.

Jüdischer Friedhof Eingang.JPGJüdischer Friedhof Grabsteine.JPG

Jüdischer Friedhof in Zeven (Aufn. Stadt Zeven, 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

2008 wurde durch die Stadt Zeven ein Gedenkstein errichtet, der die Namen der deportierten und im Holocaust umgekommenen jüdischen Bürger/innen trägt.

                      Gedenkstein für die Shoa-Opfer (Aufn. B., 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Die 2010/2011 konzipierte Ausstellung „Jüdisches Leben in Zeven – Schüler rekonstruieren Geschichte“ ist das Ergebnis eines Kooperationsprojektes, an dem Schüler des Fachgymnasiums Technik des Kivinan-Bildungszentrums aktiv beteiligt waren. So wurde u.a. an Hand von historischen Fotos der jüdische Betsaal, der am 9.Nov. 1938 zerstört worden war, rekonstruiert.

  Rekonstruierter Betsaal mit Thora-Schrank (Ausstellungsobjekt von 2010)

Auf Beschluss der Kommunalverwaltung wurden jüngst in Zeven sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnern (Stand 2022); zu den bislang vorhandenen 14 messingfarbenen Gedenktäfelchen kamen 2023 weitere elf Steine (an vier Standorten) hinzu; künftig sollen noch etwa zehn Steinquader folgen.

    Stolperstein Zeven Lange Straße 36 Siegfried Neugarten.jpgStolperstein Zeven Lange Straße 36 Melitta NeugartenStolperstein Zeven Lange Straße 36 Ilse Neugarten in der Langen Straße (Aufn. Gmbo, 2022, aus: wikipedia.org, CCO)

  und der Gartenstraße

 

 

 

Weitere Informationen:

Jürgen Bohmbach, Die Juden im alten Regierungsbezirk Stade, in: "Stader Jahrbuch 1977", Stade 1977

Klaus-Peter Schulz, Inschriften, Fotos und Belegungsplan des jüdischen Friedhofs, Kreisheimatmuseum Osterholz, 1985/1997

Elfriede Bachmann, Zur Geschichte der Juden in der Stadt Bremervörde insbesondere im 20.Jahrhundert, in: "Rotenburger Schriften", Heft 74/75 (1991), S.129 - 200

Elfriede Bachmann, Zur Geschichte der Juden in Zeven und Umgebung, hrg. vom Heimatbund Bremervörde-Zeven, Zeven 1992

Jürgen Bohmbach (Bearb.), Zeven, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Bd. 2, S. 1599 – 1604

Jüdisches Leben in Zeven – Schüler rekonstruieren Geschichte“ - Kooperationsprojekt zwischen der Bauabteilung und dem Fachgymnasium Technik des Kivinan-Bildungszentrums, 2010

Roland Sperling, Die jüdische Gemeinde in Zeven 1933 – 1938 (Vortragsprotokoll von 2011, als PDF-Datei vorhanden)

Ronald Sperling (Bearb.), ZEVEN – Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/zeven/

Ronald Sperling (Bearb), Die jüdische Gemeinde in Zeven von 1933 – 1941 und das Schicksal der überlebenden Zever Juden in der Nachkriegszeit, in: „Rotenburger Schriften“, Heft 99 (2019), S. 125 - 155

Tom Kreib (Red.), „Jüdischer Friedhof ist ein Stück deutscher Kultur“. Der pensionierte Pastor Martin Engelhardt arbeitet gegen das Vergessen, in: „Kreiszeitung -Wochenblatt“ vom 12.1.2020

Roland Sperling (Bearb.), Jüdisches Leben in Zeven und das Verfolgungsgeschehen in der NS-Zeit, in: „Weitererzählen: die Cohn-Scheune – Jüdisches Museum und Kulturwerkstatt“, Verlag Hentrich & Hentrich, Leipzig 2021, S. 147 - 170

Thorsten Kratzmann (Red.), Hier ruhen Geschichten der Zevener Juden, in: norderlesen.de vom 8.1.2022

N.N. (Red.), 35 „Stolpersteine“ in Zeven für Nazi-Opfer, in: „Zevener Zeitung“ vom 24.1.2022

Thorsten Kratzmann (Red.), Stolpersteine: 100 Zevener verfolgen die Verlegung in Zeven, in: „Zevener Zeitung“ vom 15.6.2022

Auflistung der in Zeven verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter. wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Zeven

Thorsten Kratzmann (Red.), Wo ist der Baum der Schande für die Nazi-Täter? in: „Nordsee-Zeitung“ vom 29.12.2022

Thorsten Kratzmann (Red.), Im Gedenken der Nazi-Opfer: Weitere elf Stolpersteine in Zeven, in: „Zevener Zeitung“ vom 11.8.2023

Jakob Brandt (Red.), Gedenken an NS-Opfer: Gunter Demnig verlegt elf weitere Stolpersteine in Zeven, in: „Zevener Zeitung“ vom 25.10.2023