Zimmersrode (Hessen)

Kurhessen Kr Homberg.png Datei:Neuental in HR.svg Zimmersrode - seit 1971 Ortsteil und Verwaltungssitz der neugeschaffenen Großgemeinde Neuental (Schwalm-Eder-Kreis) - ist derzeit von ca. 1.200 Menschen bewohnt – ca. 50 Kilometer südlich von Kassel nahe Borken/Frielendorf gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Zimmersrode, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Schwalm-Eder-Kreis', NNW 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Juden waren nachweislich seit Mitte des 16.Jahrhunderts in Zimmersrode ansässig. Aus dieser Zeit liegen urkundliche Belege dafür vor, dass ihre Anwesenheit im Dorf nicht gern gesehen wurde und Versuche unternommen wurden, sie aus Zimmersrode zu vertreiben. Während des Dreißigjährigen Krieges verließ die Mehrzahl der in Zimmersrode lebenden Juden das Dorf. Sie kehrten nach Kriegsende aber wieder hierher zurück.

Die Anfang des 18.Jahrhunderts hier ansässigen Juden lebten vom Viehhandel und der -mäkelei; einige Familie brachten es zu ansehnlichem Wohlstand. In der „Judengasse“ (heute Bornstraße) befand sich das Bethaus der Zimmersroder Juden. Äußerlich unterschied sich das Gebäude, das bereits um 1740 in jüdischem Besitz war, kaum von den umstehenden Gehöften; nur die drei Bogenfenster im Obergeschoss deuteten auf ihre Nutzung hin (Eine Zeichnung des Synagogengebäudes findet man auf dem Cover der 2024 verausgabten Publikation von Thomas Schatter/Rainer Scherb, Stolpersteine in Zimmersrode: Erinnerungen an jüdische Familien.)

Bereits um 1590 soll es in Zimmersrode eine „Judenschule“ (= Betraum) gegeben haben.

 

Für religiös-rituelle Aufgaben hatte die Gemeinde einen Lehrer angestellt.

Die im 19.Jahrhundert ins Leben gerufene jüdische Elementarschule, die von Kindern aus der Synagogengemeinde besucht wurde, wurde kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges geschlossen.

Verstorbene Juden aus Zimmersrode wurden auf dem jüdischen Friedhof in der Gemarkung Haarhausen beerdigt. Der zwei Kilometer von Zimmersrode entfernt gelegene Friedhof diente über „lange Zeiten“ umliegenden Gemeinden als zentrale Begräbnisstätte; erst als diese eigene Friedhöfe anlegen konnten, ging die Bedeutung des Haarhausener Judenfriedhofs zurück.

      Teilansicht des Friedhofs in Haarhausen (Aufn. aus: alemannia-judaica.de)

Zur Synagogengemeinde Zimmersrode zählten auch die jüdischen Familien aus Gilsa, Bischhausen, Römersberg und Waltersbrück; letztere unterhielten etwa ab ca. 1860 ein eigenes Bethaus und wollten sich von Zimmersrode trennen, allerdings letztlich ohne Erfolg.

Die Gemeinde gehörte zum Bezirksrabbinat Niederhessen mit Sitz in Kassel.

Juden in Zimmersrode:

         --- 1707 ..........................  4 jüdische Familien,

    --- 1729 .......................... 14     “       “    ,

    --- 1744 .......................... 15     “       “    ,

    --- 1824 .......................... 23     “       “    ,*   * Synagogengemeinde

    --- 1835 .......................... 50 Juden,

    --- 1861 .......................... 54   “  (ca. 11% d. Bevölk.),

    --- 1871 .......................... 58   "  ,

    --- 1885 .......................... 66   “  (ca. 12% d. Bevölk.),

    --- 1895 .......................... 67   "  ,

    --- 1905 .......................... 59   “  (ca. 11% d. Bevölk.)

    --- 1933 .......................... 45   “  ,

    --- 1939 (Jan.) ................... 13   “  ,

    --- 1939/40 ....................... keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die Jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 447

und                 Ferdinand Achler, Zimmersrode - Früher (Ortschronik), Kapitel 79, S. 311 ff.

 

Neben Klein- und Viehhandel übten Zimmersroder Juden auch einige Handwerke aus. Zu Beginn der 1930er Jahre lebten noch etwa 50 Juden im Dorf.

Während des Novemberpogroms von 1938 zerstörten einheimische Dorfbewohner die Synagoge und die jüdische Schule. Um Misshandlungen zu entgehen, versteckten sich manche Juden bei ihren christlichen Nachbarn. Im Anschluss an die „Aktionen“ mussten alle jüdischen Dorfbewohner bis 1939 ihr Heimatdorf, zumeist in Richtung Kassel, verlassen; zuvor war es einigen Familien gelungen zu emigrieren. Das weitere Schicksal der in Deutschland verbliebenen Juden aus Zimmersrode ist weitgehend unbekannt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind insgesamt 32 gebürtige bzw. längere Zeit hier wohnhaft gewesene jüdische Bewohner Zimmersrodes dem Holocaust zum Opfer gefallen (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/zimmersrode_synagoge.htm).

 

Im Jahre 2024 wurden 16 „Stolpersteine“ in der Hauptstraße von Zimmersrode verlegt, die an Schicksale ehemaliger jüdischer Bewohner erinnern. Künftig sollen noch weitere Steine folgen.

Bereits seit 2012 erinnern in Bischhausen an zwei Standorten fünf sog. „Stolpersteine“ an ehemalige jüdische Einwohner; während zwei der Shoa zum Opfer fielen, gelang es drei Juden zu emigrieren und damit ihr Leben zu retten.

 

In Waltersbrück heute ebenfalls zur Kommune Neuental im Schwalm-Eder-Kreis gehörig - existierte während des 19.Jahrhunderts eine winzige israelitische Gemeinde; die nur aus wenigen Familien bestehende Gemeinschaft war eine Filialgemeinde von Zimmersrode; Versuche, autonom zu werden, schlugen fehl. Seit den 1860er Jahren benutzten die Juden Waltersbrücks einen eigenen Betraum, der sich in einem Privathause befand.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20390/Waltersbrueck%20Synagoge%20120.jpg Waltersbrück, Betraum markiert (hist. Aufn., um 1900)

Die Kinder besuchten die israelitische Elementarschule in Zimmersrode. 

Verstorbene wurden auf dem jüdischen Friedhof in Haarhausen begraben.

Zu Beginn der 1930er Jahren waren nur noch knapp zehn Bewohner jüdischen Glaubens am Ort ansässig. Nachweislich sind neun gebürtige bzw. länger in Waltersbrück lebende jüdische Bürger Opfer der „Endlösung“ geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/waltersbrueck_synagoge.htm).

2018 wurden in Waltersbrück ('Am Frankenhain') vier sog. "Stolpersteine" verlegt, die an die jüdische Familie Moses/Seligmann erinnern; drei der vier Familienmitglieder wurden deportiert und ermordet.

Bereits ein Jahr zuvor waren auch im Ortsteil Gilsa Gedenkquader in den Gehweg eingelassen worden.

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die Jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 446 - 448

Ferdinand Achler, Zimmersrode - Früher (Ortschronik), Kapitel 79, S. 311 ff. 

Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel, 1995, S. 179

Zimmersrode mit Bischhausen, Gilsa und Römersberg, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Waltersbrück, in: alemannia-judaica.de (mit einigen personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortsgeschichte)

Thomas Schattner (Red.), Fünf Stolper-Steine der Achtung in Bischhausen, in: "HNA - Hessische Niedersächsische Allgemeine" vom 3.7.2012

Thomas Schattner (Red.), Stolpersteine in Waltersbrück, in: „SEK-News“ vom 5.2.2018

Meinicke (Red.), Neue Stolpersteine in Wabern und Waltersbrück: Immer mehr Orte der Erinnerung, in: „HNA – Hessische Niedersächsische Allgemeine“ vom 10.2.2018

Thomas Schatter/Rainer Scherb, Stolpersteine in Zimmersrode: Erinnerungen an jüdische Familien, Teil 1, 2024

Thomas Schattner (Red.), Erinnerungskultur in Zimmersrode: Neue Stolpersteine erzählen von jüdischem Leben, in: „HNA – Hessische Niedersächsische Allgemeine“ vom 6.5.2024