Wandsbek (Hamburg)

Der heutige Hamburger Bezirk Wandsbek - einer von sieben Bezirken der Hansestadt und derzeit mit ca. 38.000 Einwohnern der bevölkerungsstärkste -  gehörte bis 1938 zu Holstein.

Bezirke in Hamburg – Wikipedia

historische Karte um 1795 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)  und  aktuelle Stadtbezirks-Karte von Hamburg (aus: hamburg.de)

 

Im ausgehenden 19.Jahrhundert erreichte die Zahl der Angehörigen der jüdischen Gemeinde Wandbek mit nahezu 300 Personen ihren zahlenmäßigen Zenit.

Jüdische Familien sollen bereits im letzten Viertel des 16.Jahrhundert in Wandsbek, einem zu Holstein gehörigen adligen Gut (von Rantzau), gelebt haben; doch urkundlich belegt ist deren Anwesenheit erst ab 1621.

Sie waren mit Schutzbriefen ausgestattet, die ihnen gewisse Privilegien zusicherten. Um in den Genuss dieser Rechte zu gelangen, wurden auch jüdische Familien, die in Hamburg ihren Geschäften nachgingen und teilweise dort auch wohnten, Angehörige der Wandsbeker Gemeinde. In der Mehrzahl waren die Wandsbeker Juden bis Mitte des 19.Jahrhunderts „Handelsmänner“.

1634 wurden den Wandsbeker Juden per Privileg des Gutspächters zugestanden, ihrem Glauben frei nachzugehen und einen eigenen Begräbnisplatz anzulegen; dieser befand sich an der Kattunbleiche (Ecke Königsreihe/Litzowstraße) - er zählt zu den ältesten Norddeutschlands - und wurde bis Mitte der 1880er Jahre belegt; insgesamt wurden hier 1.200 Verstorbene (auch aus Hamburg) beerdigt. Seit 1887 begrub man die Toten der Gemeinde Wandsbek auf einem Gelände an der Jenfelder Straße (Hamburg-Tonndorf).

Die relativ kleine Wandsbeker Gemeinde - immerhin war sie bis Anfang des 18.Jahrhunderts größer als die in Hamburg - gehörte einem Dreier-Verband an, der auch die Angehörigen der jüdischen Doppelgemeinde Altona und Hamburg umfasste; Hauptort der Dreier-Gemeinde war von 1671 bis 1812 Altona.

Die letzte Synagoge der Wandsbeker Gemeinde wurde im Sommer 1840 eingeweiht; sie befand sich auf einem Hinterhofgelände der Wandsbeker Straße Lange Reihe, der heutigen Königsreihe (Abb. in: muehlenbek-verlag.de).

Zerstörte Welt: Hamburg und seine Synagogen | MOPOTeilansicht der ehem. Wandsbeker Synagoge (aus: Hamburger Morgenpost)

Die Gemeindeschule befand sich in einem 1876 errichteten Anbau an die Synagoge.

Juden in Wandsbek:

--- 1620 ........................   4 jüdische Familien,

--- 1660 .................... ca.   6     “        “   ,

--- 1763 ........................  10     “   Haushalte,

--- 1831 ........................   8 jüdische Familien,

--- 1850 ........................  28     “        “   ,

--- 1860 ........................ 183 Juden,

--- 1885 ........................ 285   “  ,

--- 1904 ........................ 213   “  ,*    * Gemeindeangehörige

--- 1925 ........................ 225   “  ,*

--- 1933 ........................ 144   “  ,

--- 1939 .................... ca. 120   “  .

Angaben aus: Astrid Louven, Die Juden in Wandsbek 1604 - 1940 - Spuren der Erinnerung, S. 140/141

Wandsbek um 1860 - Gemälde (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Wandsbeker Marktstraße - um 1880 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Infolge von Zuzügen jüdischer Familien aus den deutsch-polnischen Provinzen in den Jahren nach 1900 veränderte sich die Struktur der Wandsbeker Gemeinde deutlich.

Anfang der 1930er Jahre gehörten der Wandsbeker Gemeinde etwa 200 Personen an, die zumeist in gutbürgerlichen Verhältnissen lebten; sie arbeiten vor allem als Kaufleute und Freiberufler. Gegen Ende der 1930er Jahre gab es in Wandsbek noch zwölf Geschäfte und acht Firmen mit jüdischen In- u. Teilhabern, zudem elf freiberuflich Tätige. Während die wohlhabenderen Familien in Marienthal wohnten, lebten sozial schwächere Juden in Mietwohnungen im Synagogenviertel.

Mit der erzwungenen Vereinigung der israelitischen Kultusgemeinden Hamburg, Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg zum „Jüdischen Religionsverband Hamburg“ hörte die bereits stark dezimierte Wandsbeker Gemeinde auf zu existieren. Der letzte Gottesdienst fand Mitte Oktober 1938 statt; die Zahl der Gemeindeangehörigen war durch Aus- und Abwanderung derart geschrumpft, dass fortan kein Minjan mehr zustande kam. Dem letzten Rabbiner der Gemeinde Dr. Simon Bamberger - er hatte seit 1902 in Wandsbek sein Amt inne gehabt - gelang 1939 die Emigration nach Palästina.

Einige Tage nach der Pogromnacht vom November 1938 wurde die Synagoge demoliert; einer Brandlegung entging das Gebäude nur deshalb, weil es mitten eines Wohngebiets lag. 1939 wurde das Synagogengelände zwangsverkauft. Das Gebäude wurde zu einem Holzlager umfunktioniert; bei einem Bombenangriff 1943 wurde es stark beschädigt.

Während der NS-Zeit wurde der alte jüdische Friedhof an der Kattunbleiche mehrfach geschändet, 1938 die Trauerhalle aufgebrochen und demoliert. Auch das kleine Friedhofsgelände an der Jenfelder Straße blieb nicht von Verwüstung verschont.

Etwa 100 Wandsbeker Juden konnten ihr Leben durch Emigration - zumeist nach Palästina - retten.

Seit Ende Oktober 1941 mussten sich auch Wandsbeker Gemeindeangehörige den Deportationstransporten anschließen, die in die Ghettos Lodz, Minsk, Riga und Theresienstadt führten; insgesamt waren mindestens etwa 100 Personen davon betroffen.

[vgl. Hamburg]

 

Das ehemalige, inzwischen marode Synagogengebäude wurde 1975 abgerissen. Im Jahre 1988 setzte die Bezirksversammlung Wandsbek im Dotzauerweg, gegenüber dem jetzt mit einem Wohnhaus überbauten Platz der Synagoge, einen Gedenkstein zur Erinnerung an die einstige jüdische Gemeinde, der eine Inschriftentafel mit folgendem Text trägt.

An der früheren Straße Lange Reihe stand die Synagoge der Israelitischen Gemeinde in Wandsbek. Das Gotteshaus wurde 1840 eingeweiht. Sein Stifter war Isaak Hartwig (1776-1842). Zuvor gab es einen Betsaal an dieser Straße. Hier wirkten die Rabbiner: Dr. David Hannover (1833-1901) und Dr. Simon S. Bamberger (1871-1961). Wegen des reichsweiten Novemberpogroms paßte die Schutzpolizei auf, daß um den 10.11.1938 hier kein Feuer gelegt wurde. Später jedoch drangen Männer der SA in das Gebäude ein und randalierten dort. Das Grundstück mußte 1939 verkauft werden. Im Krieg wurde das Gebäude 1943 ausgebombt.                                                              ACHTE ALLZEIT GLAUBEN UND DENKEN ANDERER !                                               Bezirksversammlung Wandsbek 1988

File:Gedenkstein für die ehemalige Wandsbeker Synagoge in der Dotzauerstraße in Hamburg-Wandsbek.jpg Gedenkstein (Aufn. C.-J. Dickow, 2009, aus: commons.wikimedia.org)

Der Wandsbeker "Weg der Erinnerung an Verfolgung und Widerstand im Nationalsozialismus" weist seit 2024 auch eine Stele auf, die dem letzten Wandsbeker Rabbiner Simon Bamberger gewidmet ist.

Der alte jüdische Friedhof Lange Reihe (später Königsreihe - Ecke Litzowstraße) - auf dem Gelände haben insgesamt ca. 1.200 Verstorbene ihre letzte Ruhe gefunden - befand sich noch viele Jahre nach Kriegsende in einem beklagenswerten Zustand; seit 1960 steht das Gelände unter Denkmalschutz. Mehr als 500 Grabsteine haben die Zeiten überdauert, der älteste stammt aus dem Jahre 1676. Ein Gedenkstein erinnert an den letzten Rabbiner Wandsbeks, Dr. Simon Bamberger (1872-1961), der seit 1902 hier amtierte.

Jüdischer Friedhof Wandsbek.jpg

jüdischer Friedhof, Königsreihe (Aufn. C. Pieri, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und An., 2013, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

        Erinnerungstafel für Simon Bamberger (Aufn. C. Pieri, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Auf dem jüngeren Friedhof an der Jenfelder Straße (in Tonndorf) - er war ursprünglich für ca. 1.000 Begräbnisse ausgelegt - sind bis 1942 nur insgesamt ca. 140 Bestattungen erfolgt, noch etwa 100 Gräber heute nachweisbar. Das Gelände musste 1943 zwangsweise an die Stadt Hamburg verkauft werden; auf dem Areal – es wurde danach gewerblich genutzt - wurde u.a. eine Lagerhalle errichtet. 1959 wurde ein Teil der Friedhofsfläche der jüdischen Gemeinde zurückerstattet.   

 Jüdischer Friedhof Jennfelder Straße (Aufn. C. 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

In mehreren Verlegeaktionen – beginnend im Jahre 2004 – sind bislang mehr als 200 sog. „Stolpersteine“ (Stand 2022) in die Gehwege der Straßen im Hamburger Stadtteil Wandsbek eingelassen worden; neben jüdischen Opfern wird auch an Angehörige anderer NS-Opfergruppen erinnert.

Bernhard Levisohn - Wandsbeker Königstraße 38 (Hamburg-Wandsbek).Stolperstein.nnw.jpgHelene Levisohn - Wandsbeker Königstraße 38 (Hamburg-Wandsbek).Stolperstein.nnw.jpgGertrud Levisohn - Wandsbeker Königstraße 38 (Hamburg-Wandsbek).Stolperstein.nnw.jpgLouis Levisohn - Wandsbeker Königstraße 38 (Hamburg-Wandsbek).Stolperstein.nnw.jpgKäthe Levisohn - Wandsbeker Königstraße 38 (Hamburg-Wandsbek).Stolperstein.nnw.jpg

"Stolpersteine" für Angehörige der Familie Levisohn, Wandsbeker Königstraße (alle Aufn. NNW, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

für Familie Cohn, Dorfstücken  undefined undefined Hans-Werner Cohn - Dorfstücken 2 (Hamburg-Wandsbek).Stolperstein.nnw.jpg

... und drei Steine, die an Kinder/Jugendliche erinnern  Ursula Behrend - Wandsbeker Zollstraße 89 (Hamburg-Wandsbek).Stolperstein.nnw.jpg undefined undefined

 

 

 

Weitere Informationen:

Simon Bamberger, Der alte jüdische Friedhof zu Wandsbek, in: "Israelitischer Kalender für Schleswig-Holstein", 1926/27

Oskar Wolfsberg-Aviad, Die Drei-Gemeinde: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden Altona - Hamburg - Wandsbek, Ter-Namid-Verlag, München 1960

Heinz M. Graupe, Die Statuten der drei Gemeinden Altona, Hamburg und Wandsbek: Quelle zur jüdischen Gemeindeorganisation im 17. und 18.Jahrhundert, Hamburg 1973

Peter Freimark, Jüdische Friedhöfe im Hamburger Raum, hrg. vom Verein für Hamburgische Geschichte, Hamburg 1981

Günter Marwedel, Geschichte der Juden in Hamburg, Altona und Wandsbek, hrg. vom Verein für Hamburgische Geschichte, Band 25, Christians-Verlag, Hamburg 1982

Astrid Louven, Die Juden in Wandsbek 1604 - 1940 - Spuren der Erinnerung, Verlag Otto Heinevetter, Hamburg 1989 (2.Auflage 1991)

Naftali Bar-Giora Bamberger, Die jüdischen Friedhöfe in Wandsbek - Memorbuch, Verlag Dölling & Galitz, Hamburg 1997

Stefan Rohrbacher, Die Drei Gemeinden Altona, Hamburg, Wandsbek zur Zeit der Glikl, in: "Aschkenas - Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden", 8/1998 (1), S. 105 – 124

Stolpersteine in Wandsbek - Erinnerungen an verfolgte Nachbarn, Hrg. Bezirksversammlung Wandsbek, 2005

Günter Marwedel, Die aschkenasischen Juden im Hamburger Raum (bis 1780), in: Ina Lorenz (Hrg.), Zerstörte Geschichte. Vierhundert Jahre jüdisches Leben in Hamburg, Hrg. Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 2005, S. 11 – 43

Astrid Louven/Ursula Pietsch, Stolpersteine in Hamburg-Wandsbek mit den Walddörfern. Biographische Spurensuche, hrg. von der Hamburger Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 2008

Michael Studemund-Halévy, Im jüdischen Hamburg – ein historisches Nachschlagewerk, Verlag Dölling & Galitz Hamburg 2011

Astrid Louven (Bearb.), Stolpersteine Wandsbek (Namensliste/Kurzbiografien der betroffenen Personen), online abrufbar unter: astrid-louven.de

Astrid Louwen (Bearb.), Wandsbek. Jüdische Gemeinde, in: Das Jüdische Hamburg – ein historisches Nachschlagewerk, online abrufbar unter: dasjuedischehamburg.de/inhalt/wandsbek-jüdische-gemeinde

Auflistung der Stolpersteine in Hamburg-Wandsbek, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Hamburg-Wandsbek

Friederike Ulrich (Red.), Bau der Linie S4: Sorge um jüdischen Friedhof in Tonndorf, in: „Hamburger Abendblatt“ vom 18.10.2019

Oskar Wolfsberg, Die Drei-Gemeinde: aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden Altona-Hamburg-Wandsbek, Hamburg 2019

Stefan Romey/u.a. (Bearb.), Wandsbek erinnert an 1933 – 1945. Wegweiser zu den Gedenkstätten, hrg. von der Bezirksversammlung Wandsbek, 2. erw. Aufl., Hamburg 2022

Kulturschloss Wandsbek (Bearb.), Jüdisches Leben in Wandsbek – interaktive Karte mit Informationen zum jüdischen Leben in Wandsbek, in: juedischesleben-wandsbek.de (2023)

Peter Pape, „Stolpersteine in Wandsbek – Ihr werdet nicht vergessen!“ - Wanderausstellung der Bezirksversammlung Wandsbek, online abrufbar unter: hamburg.de vom 5.7.2024

Stadt Hamburg - Pressemitteilung (Red.), Einweihung der Stele Simon Bamberger. Wandsbeker Weg der Erinnerung an Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus, online abrufbar unter: hamburg.de vom 29.10.2024